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von Brigitta Hochuli ・, 23.05.2014

Von Rom angehaucht

Von Rom angehaucht
Fremde Brotbäcker bieten in Konstanz ihre Waren an. Zeichnung koloriert. Konstanzer Handschrift der Richental-Chronik, um 1465. Rosgartenmuseum Konstanz, Hs.1, fol. 23r. Bild aus: Rom am Bodensee, Zürich, 2014, Verlag Neue Zürcher Zeitung | © Rosgartenmuseum Konstanz

Einer der Thurgauer Beiträge zu den Feiern rund um das Konstanzer Konzil von 1414 bis 1418 ist eine vierteilige Buchreihe. Jetzt liegt mit „Rom am Bodensee“ der erste lesenswerte Band aus dem Verlag NZZ Libro vor.

Brigitta Hochuli

Zwölf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und eine Restauratorin schreiben ein Buch zum Konstanzer Konzil und bemühen sich um Verständlichkeit. Das gefällt! Es fehlen zwar Rapport und Erörterung der Kongressverhandlungen zur Behebung der Missstände in der damaligen katholischen Kirche, denn es soll ja um den Thurgau gehen. Dafür vermittelt „Rom am Bodensee“ einen lebensnahen Einblick in die Zeit des späten Mittelalters - lokal und europäisch. Wer der vielversprechenden Titelschlagzeile also erliegt, verbingt lesend ein paar Stunden in einer Welt, die auch in schöner Bebilderung in vielem an heute erinnert.

Verdienstvolle Chronik

Verdienstvoll ist die kleine Chronik, die Ramona Früh, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kulturamt Thurgau, zusammengestellt hat. Sie beginnt im Jahr 1378 mit der Kirchenspaltung (Grosses Schisma) durch die Wahl von Papst Clemens VII. in Fondi als Alternative zu Urban VI. in Rom sowie 1409 mit der Wahl eines dritten Papstes in Pisa, der ab 1410 Johannes XXIII. hiess, in Konstanz zugegen war, floh und abgesetzt wurde. Wichtig für den Thurgau war Herzog Friedrich IV. von Österreich, der hier ab 1407 viel Land und Macht besass, 1415 durch den römisch-deutschen König Sigismund in die Schranken gewiesen wurde und hierzulande einen politischen Flickenteppich hinterliess.

In Konstanz Kurzweil angesagt

Doch tauchen wir ein in dieses Rom am Bodensee. Die Bischofs- und Reichsstadt Konstanz war nicht nur nach dem Plan von Rom gebaut, sie war als Wirtschaftsmetropole wie heute auch Magnet für Konsumfreudige und für die Thurgauer als Markt- und Messeort von Bedeutung. Wie Historiker Peter Niederhäuser beschreibt, war in Konstanz „für Kurzweil und Vergnügen gesorgt“. Anders als heute wurden zahlreiche Thurgauer sogar Bürger von Konstanz, während die dortige Haute Volée sich bei uns Landsitze als Statussymbole leistete, weil dieses Gelände „ganz lieblich und fruchtbar an Wein, Korn, Obst und allerlei guten Früchten“ war.

Ein Fischhändlerstand während des Konstanzer Konzils. Zeichnung koloriert. Konstanzer Handschrift der Richental-Chronik, um 1465 (links, ©Rosgartenmuseum Konstanz); das aus dem Augustiner-Chorherrenstift Kreuzlingen stammende Exemplar der Richental-Chronik zeigt auf dem ersten Blatt den Ritter, auf dessen Schirm ein Kreuz tragender Engel zu sehen ist. Im übertragenen Sinn ist damit der sogenannte Traghimmel gemeint, der dem Papst als Ehrenbezeugung vorangetragen wird (rechts, ©Kantonsbibliothek Thurgau). - Bilder aus "Rom am Bodensee".

Auf einem Rundgang durch die Stadt mit dem Konstanzer Autor des letztes Jahr erschienenen Konzilromans „In Nomine Diaboli“, Henry Gerlach, erfährt der Leser zudem von lärmeminenten Ritterspielen auf dem Münsterplatz oder mobilen Fastfoodständen für italienische Pasteten, deren Geschäftsinhaber mit erleichterter Einbürgerung bei der Stange gehalten wurden.

Versorgung aus dem Thurgau

Auf diesem Nährboden gedieh auch die Versorgung der Stadt während des Konzils, unter dem Titel „Verwöhnte Gaumen, hungrige Mäuler“ anschaulich beschrieben von Roman Sigg, Stadtarchivar von Stein am Rhein. Aus dem Umland und dem heutigen Thurgau wurde Getreide eingeführt. Mutmasslich hätten die Thurgauer Besitzungen des Bistums Konstanz gemäss Einkünfteverzeichnis ein Viertel der gesamten Dinkelerträge und etwas mehr als einen Achtel der Hafererträge abgeworfen, schreibt Sigg. Heu und Stroh wurde aus dem Thurgau per Schiff, Holz auf dem Karren in die Stadt transportiert. Weitere aus der Schweiz lieferbare Produkte lassen sich am Menuplan für Papst Johannes ablesen, der bei seiner Anreise im Kreuzlinger Augustiner-Chorherrenstift Halt gemacht hatte und „auf keinen Fall zu wenig“ Rind- Kalb- und Schafsfleisch sowie Wild, Vögel, Kapaun, Hühner, Hähnchen und Truthennen zur Auswahl gehabt haben dürfte.

Steinreiche Kongressstadt

Während die Stadt Konstanz aktuell um den Bau eines grossen Veranstaltungsortes ringt, war sie im Mittelalter eine wichtige Kongressstadt. Dominik Gügel, Direktor des Napoleonmuseums auf dem Arenenberg, beschreibt sie anhand ihrer zahlreichen sakralen und profanen Steinbauten und ihres Wohlstands als „steinreich“ im doppelten Sinne des Wortes und mit einer Einwohnerzahl zwischen 6000 und 10‘000 Einwohnern als gleichberechtigt mit Grossstädten wie Köln oder Nürnberg. Ihr Ruf als Kongressstadt sei hervorragend gewesen. Reichstage, Kirchensynoden, Schlichtungen, Friedensschlüsse und vieles mehr hätten hier bereits seit Jahrhunderten statttgefunden. Und die Stadt war global vernetzt: Der hier produzierte Bodensee-Leinen wurde bis in den Orient exportiert.

Gottlieben und Münsterlingen

Konstanz zog auch italienische Intellektuelle an. Berühmt ist die daraus entstandene Erzählung Conrad Ferdinand Meyers „Plautus im Nonnenkloster“ (1882), in der Konzilsteilnehmer Poggio Bracciolini auf der Suche nach einer antiken Handschrift im Kloster Münsterlingen mit wundersamen Ereignissen konfrontiert wird. Silvia Volkart, die Herausgeberin des vorliegenden Bandes, beschreibt die realen Hintergründe der Geschichte, während der Thurgauer Kantonsarchäologe und Leiter des Buchprojektteams Hansjörg Brem über die Entdeckungen der römischen Antike im Bodenseeraum durch die angereisten Humanisten berichtet.

Auch Gottlieben war mit seiner ehemaligen Burg ein wichtiger Ort im Zusammenhang mit dem Konzil. Dort soll Reformator Jan Hus eingekerkert worden sein und dorthin floh der steckbrieflich gesuchte Papst Johannes, verkleidet als unscheinbarer Knappe auf einem gemäss Henry Gerlach „nicht sehr repräsentativen Pferd“ - ein Vorgang übrigens, der sich wie eine Kriminalgeschichte liest.

Repräsentativer als das päpstliche Pferd war die Stadt, „die selbst die Italiener zum Schwärmen brachte", meint Dominik Gügel. Der Hauch von Rom ist ihr bis heute geblieben und breitet seinen Dunst über den Thurgau und darüber hinaus.

 

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Silvia Volkart (Hrsg.): Rom am Bodensee. Zürich, 2014, 236 S., 115 Abb. Fr. 39.– (UVP) / € 34.–; Verlag NZZ Libro; Projektleitung Silvia Volkart, Projektteamleitung Hansjörg Brem. Autoren zudem: Christina Egli, Helmut Fidler, Ramona Früh, Henry Gerlach, Dominik Gügel, Bettina Hedinger, Sabine von Heusinger, Jana Lucas, Peter Niederhäuser, Roman Sigg, Doris Warger. Mehr zum Buch lesen Sie auch im unten angefügten PDF.

Die Reihe «Der Thurgau im späten Mittelalter» umfasst noch weitere 3 Bände. Band 2 wird sich mit «Alltag und Wirtschaft» (2015) befassen und den Fokus auf die Alltagsgeschichte, etwa die wechselseitige Beziehung zwischen Herrschaft und Bauern, legen. Band 3 - «Kirchen, Klöster, Volksfrömmigkeit» (2017) - wird auf den Einfluss des Bischofs von Konstanz und den Abt von St. Gallen auf die Region eingehen sowie auf religiöse Phänomene wie den Ida-Kult oder den Jakobsweg, die im Volk sehr verbreitet waren. Der letzte und vierte Band «Vom Bischof zu Zwingli» (2018) beleuchtet dann den Sprung des Thurgaus vom Mittelalter in die Neuzeit.

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Konzil Thurgau für Körper und Geist

Konstanz erinnert ein Weltereignis

Konzil und Kritik in Kreuzlingen

 

Die Vernissage

An der Vernissage von „Rom am Bodensee“ am 23. Mai in der Reithalle des Schlosses Chastel in Tägerwilen übergab der Verlagsleiter von NZZ Libro, Hans-Peter Thür, das Thurgauer Buch. Neben Herausgeberin Silvia Volkart sprach auch Regierungsrätin Monika Knill als Chefin des Departements Erziehung und Kultur. Dass die Geschichte des Bodenseeraums eine komplizierte sei, wüssten auch heutige politische Akteurinnen und Akteure sehr genau. Dass es häufig eine Erfolgsgeschichte sei, sei aber ebenfalls bekannt, meinte sie.

 

„Wenn der Thurgau sich mit der vorgestellten Buchreihe am Konzilsjubiläum beteiligt, so reiht sich dies nahtlos in die Zusammenarbeit im Grenzraum Kreuzlingen-Konstanz ein. Heute ist es nicht mehr der Thurgau, der Milch und Honig an die Schleckmäuler in Konstanz liefert - der Warenstrom läuft derzeit eher umgekehrt -, sondern es geht unter anderem um Bildungskooperation. Auch im kulturellen Bereich sind die Bande mannigfach, nicht nur gehen die Thurgauer nach Konstanz auf den Markt, sondern sogar ins Theater.“ In diesem Sinne sei sie froh, sagte Monika Knill, mit „Rom am Bodensee“, einen weiteren Thurgauer Beitrag zum Konzil vorlegen zu können. Und „es war eine gute Idee des Regierungsrates, zum Jubiläum auch eine Hardcopy in Auftrag zu geben“.

 

Andreas Osner, Bürgermeister der Stadt Konstanz, findet diese Idee ebenfalls gut: „Das Buch geht auf das Konstanzer Konzil ein, aber es öffnet den Blick über heutige Grenzen hinweg auf die Auswirkungen der Ereignisse vor 600 Jahren. Der Band schliesst eine Lücke und wird wahrscheinlich schnell zu einem Nachschlagewerk zur Bodenseeregion im Mittelalter“, sagte er an der Vernissage.


Die Feier wurde musikalisch aufgefrischt durch das Konstanzer Ensemble Il Cigno, dessen Schwerpunkt auf der Musik der Renaissance zwischen 1450 und 1600 liegt, das aber auch Musik spielte, die zur Zeit des Konzils sicher gehört worden sei. (ho)

 

Auf dem Bild übergibt NZZ Libro-Verlagsleiter Hans-Peter Thür das Buch "Rom am Bodensee" an Regierungsrätin Monika Knill.

 

 

 

www.nzz-libro.ch

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