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von Brigitta Hochuli ・, 16.05.2013

Hans Jörg Höhener, Kulturwächter?

Hans Jörg Höhener, Kulturwächter?
Der Thurgauer Kulturkommissionspräsident Hans Jörg Höhener bezeichnet sich als Bünzli. Kultur findet er inspirierend, weil sie unordentlich sei. | © Brigitta Hochuli

Seit Januar präsidiert er die Kulturkommission des Kantons Thurgau. Ist er damit auch oberster Kulturwächter? Hans Jörg Höhener verneint. Die Kommission habe nur beratende Funktion.

Brigitta Hochuli

Am 2. März zogen sich die neun Mitglieder der kantonalen Kulturkommission ins Kulturforum Amriswil zur Klausurtagung zurück. Hans Hörg Höhener gehört ihr schon seit 2009 an, jetzt ist er deren Präsident. Zwei Gründe hätten zu dieser Retraite geführt. Die Neuen (Simone Keller und Cornelia Zecchinel) sollten integriert werden, und es galt, Themen zu vertiefen. Inputs gaben Jean-Pierre Hoby, der ehemalige Direktor der Abteilung Kultur im Präsidialdepartement der Stadt Zürich, und zum Schluss „als Klammer“ die Künstlerin Ute Klein in ihrem Atelier.

Kanton der Eigenbrötler

Hoby hatte die kulturelle Identität des Thurgaus unter die Lupe genommen. Viel verrät Hans Jörg Höhener von dessen Analyse nicht. Jedenfalls könne diese Identität nicht aus den Äpfeln und Plakaten bestehen, über die der Rest der Schweiz nur lache. An den Plakaten im Hauptbahnhof Zürich kommt der Weinfelder Pendler Höhener vorbei, wenn er zur Arbeit fährt. Denn er ist Leiter der Abteilung Berufsfachschulen und Weiterbildung im Mittelschul- und Berufsbildungsamt des grossen Kantons.

Darüber hinaus scheint die kulturelle Identität des Thurgaus vor allem aus Mängeln zu bestehen. Auf dem Land brauche es, um im Feuilleton wahrgenommen zu werden, mehr Öffentlichkeitsarbeit als in der Stadt. Auch stellt Höhener im Thurgau eine gewisse „Ignoranz der Kulturschaffenden sich selber gegenüber“ fest. Es gebe viele Eigentbrötler, die die Arbeit ihrer Kollegen nicht zur Kenntnis nähmen. „Das ist der Kunst nicht förderlich.“

Gegen den Dilettantismus

Themenwechsel. Regelmässig trifft sich die Kulturkommission mit der 30- bis 40-köpfigen Kulturgruppe des Grossen Rats. Den Kantonsräten macht sie Ausgaben für die Kultur beliebt. „Denn es sind Investitionen in unser Thema Identität.“
Vor einem Monat gab‘s Thomas Götz, der einen Künstler spielte, der von Zürich frustriert in den Thurgau zurückkehrt; hier wartet er auf den Kulturpreis.

Kultur und Politik. Da ortet Höhener Widersprüche. Die gute hiesige Förderkultur und die anständige Finanzierung hätten den Effekt, dass Mittelmass unterstützt werde. „Wir laufen Gefahr, das Ganze zu pervertieren.“ Man müsse den Mut aufbringen, auch mal etwas als dilettantisch zu qualifizieren, sagt einer, der sich selber als Dilettant bezeichnet. Der Dilettantismus zeige sich in seiner ganzen Bandbreite an der Thurgauer Kreiselkunst und bei „Kunst und Bau“.

Wobei: „Der Kanton fördert auf sehr gutem Niveau Projekte mit Bestand.“ Am meisten Potenzial macht Höhener bei den Gemeinden aus. Hier dürfe es nicht nur ums Geldverteilen gehen. „Ich hoffe, dass die Schaffung der Kulturpools auch zu inhaltlichen Diskussionen führt.“ Eine gewisse Öffnung der Optik stellt er jedoch fest. Zum Beispiel beim Dietrich-Förderpreis, der neu bis ins deutsche Singen vergeben werden kann, oder bei Spitzenkunstangeboten wie den Konzerten in der Kartause oder in Münsterlingen.

Keine Wächter

Hat die Kulturkommission vor diesem Hintergrund eine Ombudsfunktion? „Nein“, sagt der Präsident. Sie stehe dem Regierungsrat und dem Kulturdepartement nur beratend zur Seite. Bereits eingebracht habe sie das Thema „Kunst und Bau“ und die Kulturvermittlung an Schulen. „Das beobachten wir.“ Ausserdem schlage sie jährlich zwei Kulturpreisträger vor und achte auf Schwerpunkte und Durchsetzung des Kulturkonzepts. „Wir sind keine Wächter und führen keine öffentliche Debatte. Wir wirken im Innern.“

Ein Bünzli?

Hans Jörg Höheners persönliche kulturelle Sozialisierung hat im Lehrerseminar Kreuzlingen begonnen - mit „hervorragenden“ Musiklehrern wie Hubert Mahler oder Hanspeter Schär sowie Willi Koch und Urs Graf als Zeichnungslehrer. Mit letzerem gab es „happige Diskussionen über Qualität“. Prägend war auch Schreinermeister Christian Leuthold in Hegi bei Winden. Er rahmte Bilder für die St. Galler Erker-Galerie und sammelte Kunst aus der ganzen Welt. „Bei Atelierbesuchen und auf Reisen hat er mir gezeigt, wie man mit Kunstwerken in den Dialog tritt.“ Höhener versteht viel von bildender Kunst. Deshalb sitzt er im Beirat des Kunstmuseums und in dessen Ankaufskommission. Er liebt aber auch Jazz und Literatur. „Ich bin sonst ein Bünzli. Kultur ist dagegen unordentlich und wirkt gerade dadurch inspirierend.“

Zu geriatrisch

„Unordentlich“ springt das Gespräch vom einen zum nächsten Thema. Zum Beispiel zum Nachwuchs. Es gebe wenige Veranstaltungen im Thurgau, bei denen junge Besucher gesehen würden. Als Ausnahme nennt Höhener das „forum andere musik“. Ansonsten komme man sich jeweils vor wie in einer geriatrischen Klinik. „Wir müssen neue Formen finden!“ Das müsse bei der Vermittlung an den Schulen und in der Lehrerbildung beginnen. „Jeder Schüler hat das Recht auf kulturelle Begegnungen. Je kleiner die Kinder, desto offener und begeisterungsfähiger sind sie.“

Kunstmuseum: Beirat in der Pflicht

Und das Kunstmuseum Thurgau? Hans Jörg Höhener sieht es nach dem vorerst gescheiterten Erweiterungsvorhaben als Opfer. Es gebe drei Verlierer: Das Museum, die Zeit und das Geld, das in den Sand gesetzt sei. Das Museum nach Kreuzlingen zügeln will er aber nicht. „Dort eine Kunsthalle zu errichten, wäre Schwachsinn.“ Es brauche einen Neubau am Standort Kartause Ittingen. „Aus Sicht der Kulturkommission ist es nun wichtig, dass der Beirat des Museums seine Rolle nutzt, um neue Lösungen zu entwickeln. Er könnte hier eine Brückenfunkton übernehmen.“ Kulturkommissionspräsident Höhener gehört diesem Gremium ebenfalls an; einen Interessenkonflikt sieht er darin nicht.

Was in Ittingen bereits geplant wurde, gefällt ihm. Der Erweiterungsbau müsse selber nicht auch noch ein Kunstwerk darstellen. Denn dann fehle das Geld für das, was drin sei. „Das Museum soll durch seine Ausstellungen ein Leuchtturm sein!“. Das passt zu Architekturliebhaber Höheners grundsätzlicher Einstellung. Er zitiert den Konstanzer Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Hermann Kinder: Bei uns sei es zu lieblich und beschaulich, als dass etwas Spannendes entstehen könne. Dafür sei die Region zu wenig urban. „Deshalb müssen wir die richtige Schuhnummer finden - auch beim Bauen.“ Klein, aber fein heisse die Devise - eine Qualität, die im übrigen viele Gesellschaftsbereiche beseele.

Gas im Themenspeicher

Noch offene Fragen? Sie sind im Themenspeicher der Kulturkommission gut aufgehoben. Wichtig ist ihr der Zugang zur Kultur für kulturferne Schichten. „Selbstkritisch“ nennt Hans Jörg Höhener zudem die Volkskultur einen „blinden Fleck“. Musikgruppen, Handwerk, Industriekultur, die Sammlung des Seemuseums - all dem sei mehr Beachtung zu schenken. Neu setzt er in seinen Themenspeicher: Für die Thurgauer Imagewerbung statt Äpfeln die Kultur als Standortvorteil einsetzen und mit der kantonalen Wirtschaftsförderung das Gespräch suchen. „In dieser Beziehung könnte der Thurgau noch Gas geben.“

*****

Kulturkommission des Kantons Thurgau

Höhener Hans Jörg (Präsident)
Adrian Bleisch
Kurt Egger
Michael Friedli
Brigitta Hartmann
Simone Keller
Jacqueline Müller
Sabina Schwarzenbach
Cornelia Zecchinel

Beirat Kunstmuseum

Dr. Katharina Ammann, Kuratorin Bündner Kunstmuseum
Max Arnold, Kantonsrat (ehem. Gemeindeammann Warth-Weiningen)
Dr. Hermann Bürgi, Rechtsanwalt
lic. jur. Robert Fürer (Vertreter der Stiftung Kartause Ittingen)
Alex Hanimann (Kunstschaffender, St. Gallen)
Hans Jörg Höhener (Vertreter der Kulturkommission)

Ankaufskommission Kunstmuseum

Dr. Katharina Ammann
Alex Hanimann
Hans Jörg Höhener

Zur Person

Die Kulturkommission des Kantons Thurgau wählte den 57-jährigen Weinfelder Ende 2012 zum neuen Präsidenten. Hans Jörg Höhener ist Abteilungsleiter Berufsfachschulen und Weiterbildung in der Bildungsdirektion des Kantons Zürich und seit 2009 Mitglied der Kulturkommission des Kantons Thurgau. Er engagiert sich seit vielen Jahren für die Kulturvermittlung und Kulturpolitik im Kanton Thurgau: Unter anderem war er Präsident der Regionalbibliothek Weinfelden, der Thurgauischen Kunstgesellschaft und Vizepräsident der Kulturstiftung des Kantons Thurgau. Zurzeit ist er noch Mitglied des Beirats des Kunstmuseums des Kantons Thurgau und der Ankaufskommission des Kunstmuseums. Seine persönlichen kulturellen Interessen sind breit mit einer besonderen Affinität zur Bildenden Kunst, zum Jazz und zur Architektur.

Hans Jörg Höhener übernimmt das Amt des Präsidenten per Anfang 2013 von Kurt Egger. Dieser hatte bereits bei seiner Ernennung zum Präsidenten im Jahr 2010 angekündigt, dass er nur für zwei Jahre zur Verfügung stehen werde; er gibt nun das Präsidium der Kulturkommission nach seiner Wahl in den Grossen Rat weiter. (id)

 

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