von Maria Schorpp, 07.06.2018
Alles mega hier!
Im Jungen Theater Thurgau kann man viele begeisterte junge Menschen treffen. Die Leiterin Ira Werner war schon bei der Vorgängereinrichtung dabei. Theaterspielen, sagt sie, kann das ganze Leben prägen.
Die Szene hat etwas Kafkaeskes. Junge Menschen laufen kreuz und quer durch den Raum, sie tragen Kopfhörer und sprechen meist paarweise miteinander. Ein halblautes Stimmengewirr. Da tritt eine junge Frau nach vorne, nimmt ihre Kopfhörer ab. Augenblicklich hören die anderen auf zu sprechen. Die Frau schaut verwirrt, sie scheint durch die Kopfhörer hindurch etwas wahrgenommen zu haben. Die Szene wiederholt sich. Jedes Mal, wenn sie die Ohren frei macht, ist es weg.
„Kopfhörerkaraoke“ nennt sich die Werkstattaufführung des Jungen Theaters Thurgau, kurz JTTG, die jüngst zweimal gezeigt wurde. Es ist keine fertige Produktion, die mit allem bühnentechnischen Drum und Dran am Ende einer Saison steht. Ira Werner, die Leiterin und gemeinsam mit Katrin Sauter 2006 Mitbegründerin des JTTG, versteht die Vorstellung als Ausschnitt aus einem Prozess, wie sie vor der Aufführung dem Publikum erklärt. „Ein Experiment übers Angst haben und frei sein“ steht denn auch unter dem Titel. Das Stück, das keines sein will, ist eine Collage aus Spielszenen, Performance, vor allem aber Choreografien, die spannungsvolle Bilder erschaffen.
«Im Theater muss man etwas von sich preisgeben, offen sein und direkt.»
Sarina Hess, 18, Spielerin im JTTG
Ira Werner sitzt in der Gartenwirtschaft der Beiz im Eisenwerk, dem Frauenfelder Kulturzentrum. Für ihre jungen Theaterleute sei es ein neuer Weg, „sich zu getrauen, auch in Bildern zu denken“, erzählt sie. Nicht einer niedergeschriebenen Logik folgen, nicht alles erklären zu müssen. Das Publikum soll einfach schauen, seine Fantasie von der Leine lassen. Die jungen Leute machen es erstaunlich versiert vor. Wenn sie ihre Ängste ins Mikrofon sprechen, beginnt der Theaterraum zu vibrieren, wenn sie sich selbst im Verhältnis zu den anderen darstellen, ist etwas sehr Unverstelltes zu spüren.
Sarina Hess ist 18 und kommt seit zwei Jahren in Kurse und Proben des JTTG, das hauptsächlich durch die Stadt Frauenfeld und den Kanton Thurgau getragen wird. „Im Theater muss man etwas von sich preisgeben, offen sein und direkt“, sagt sie. Das sei „megasympathisch“. „Mega“ ist oft zu hören, wenn Sarina, Corine und Alena beschreiben, was ihnen die Theaterwerkstatt bedeutet. „Alle hier haben eine mega Freude am Theaterspielen“, sagt die 19-jährige Alena Weber. „Das wirkt sich auf einen selbst aus.“
In der Werkstattaufführung „Kopfhörerkaraoke“ legten Ira Werner und ihre jungen Schauspielerinnen und einem Schauspieler den Schwerpunkt auf Bewegung. Bild: JTTG
Die Arbeit bedeutet Austausch, aber auch Grenzüberschreitung
Ira Werner wird’s gerne hören. Die „Philosophie“ der Einrichtung für mittlerweile Zwölf- bis Zwanzigjährige, die dem Frauenfelder „Vorstadttheater“ im Eisenwerk angegliedert ist, ist genau die: „Wir arbeiten an Stücken, die die Jugendlichen mit ihrer Welt in Verbindung bringen können. Sie machen das Stück zu ihrem.“ Das bedeutet Austausch, aber auch Grenzüberschreitungen. Über die eigenen Grenzen gehen, sich ständig den Spiegel vorhalten. Eine der schwersten Aufgaben im Leben – und dann grad im dem Alter. Halten die das aus? Ira Werners Antwort fällt kurz aus: „Sie sind immer noch da.“
Sie weiss, was hinter all dem steckt. Sie hat selbst das Angebot des Vorstadttheaters für Jugendliche wahrgenommen, als es noch nicht Junges Theater Thurgau hiess. „Es hat mich sehr geprägt. Deshalb hoffe ich, dass ich ihnen auch geben kann, was mir das Theaterspielen gebracht hat.“ Ira Werner hat anschließend sogar eine Schauspielausbildung gemacht. Heute ist sie Theaterpädagogin und Kulturvermittlerin und hängt gerade ein Master-Studium Curatorial Studies in der Zürcher Hochschule der Künste an. Mit dem Theaterspielen hat alles angefangen.
Ira Werner ist Profi wie alle, die die Jugendlichen im JTTG trainieren. Entsprechend werden auch die Kurse für die jungen Leute, die auch schon mal aus Kreuzlingen oder Steckborn zum Theatermachen anreisen, von Profis geleitet. Choreografie etwa oder ein Crashkurs in Bühnendeutsch. Letzteres sieht Ira Werner entspannt: „Die Jungen müssen noch kein professionelles Auftreten haben. Mir ist wichtiger, dass sie sich wohlfühlen auf der Bühne, dass sie ihre Freude am Spielen ausstrahlen.“ Stimm- und Bewegungsübungen oder Übungen in Improvisation gehören allerdings selbstverständlich zum Handwerk.
«Nicht alle müssen auf den Baum klettern. Es kann reichen, wenn jemand auf den ersten Ast kommt.»
Ira Werner, Leiterin des JTTG
Improvisation – auf jeden Fall wichtig. Was für einen Normalo der Horror ist, kann für die auf der Bühne die Rettung sein. Für Alena zum Beispiel, die bis heute Angst hat, ihren Text zu vergessen. „Zum Glück haben wir mit Ira im Kurs viel improvisiert.“ Corine Fischer hört sich nach drei Jahren Theaterarbeit schon ziemlich abgeklärt an: „Eigentlich ist es nicht schlimm, wenn es passiert, man kann es überspielen. Das Publikum merkt es meistens nicht.“
In gewisser Weise ist das Angebot des Jungen Theaters Thurgau auch Hilfe zur Selbsthilfe. Bei aller Begeisterung fürs Theaterspielen sehen die drei jungen Frauen ganz nüchtern, was ihnen das fürs Leben bringt. „Am Anfang war es schwierig nach aussen zu gehen“, gesteht Corine. „Das musste ich lernen. Es hat mir im Alltag geholfen, bei Vorträgen in der Schule. Es wird einem viel bewusster, wie man wirkt.“ Alena sagt: „Ich habe früher immer viel Angst gehabt, vor Publikum zu sprechen.“ Manche holen bei diesem Schritt weiter aus als andere. Die Theaterpädagogin Ira Werner hat dafür ein schönes Bild: „Nicht alle müssen auf den Baum klettern. Es kann reichen, wenn jemand auf den ersten Ast kommt.“ Für alle aber gilt: Ihre Haltung wird anders: aufrechter, kann die Theaterpädagogin immer wieder beobachten. Und sie trauen sich was. Wie die Werkstattaufführung „Kopfhörerkaraoke“ eindrücklich beweist.
Mitmachen: Wer Lust hat beim Jungen Theater Thurgau mitzuspielen: Hier gibt es alle Infos dazu: Das bietet das JTTG.pdf
Von Maria Schorpp
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