von Rolf Müller, 09.07.2015
Frauen an der Macht
Anfangs März 2015 ist die dritte Frau in die fünfköpfige Thurgauer Exekutive gewählt worden: Cornelia Komposch (51), SP. Erwartungsgemäss. Der Sitzanspruch ihrer Partei war unbestritten, es gab keine Gegenkandidaturen (ausser einer parteilosen Immer-für-alles-Antreterin, die 183 Stimmen machte). Dass mit der absehbaren Wahl der SP-Fraktionschefin des Kantonsparlaments eine Frauenmehrheit regieren würde, war ein erfreuliches Nichtthema im Nichtwahlkampf.
Komposch hat im Juni das Departement für Justiz und Sicherheit vom pensionierten Parteikollegen Claudius Graf-Schelling übernommen. Der wiederum war im Jahr 2000 Nachfolger der allerersten Frau in der Regierung überhaupt: Der Romanshornerin Vreni Schawalder, gewählt am 10. März 1996, auch SP. Die vormalige Grossratspräsidentin und Lehrerin stand dem Departement für Erziehung und Kultur (DEK) vor. Nach nur einer Legislatur trat sie wegen einer schweren Erkrankung zurück.
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Bis zur nächsten Frau verstrichen acht Jahre. 2008 wurde Monika Knill (SVP) und 2014 Carmen Haag (CVP) gewählt. Mit Komposch sehen sich Jakob Stark (SVP) und Kaspar Schläpfer (FDP) an den Sitzungen nun einem Frauentrio gegenüber (gut, Staatsschreiber und Informationschef sind auch Männer und mit dabei). Ändert das etwas am Stil der Regierung, der Politik?
Pragmatikerin Vreni Schawalder, heute 69 Jahre alt, glaubt es nicht. „Die Geschäfte bleiben sich ja gleich, sie müssen sachgerecht behandelt und entschieden werden“, sagt sie, die immer dezidiert für Chancengleichheit von Frau und Mann eingetreten ist. Allenfalls werde das Bild etwas farbiger.
Klar wäre vor rund 20 Jahren „vor allem im Thurgau“ eine Frauenmehrheit in der Regierung undenkbar gewesen. Aber als dann dem Bundesrat vorübergehend vier Frauen angehörten „und die Schweiz nicht untergegangen ist, hat das die Stimmung auch im Thurgau beeinflusst".
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In ihrer Pionierrolle habe sie als Frau keine Widerstände erlebt; nicht im Regierungsrat, nicht in der Verwaltung und auch nicht extern. Und als mächtig habe sie ihr Amt sowieso nie empfunden, aber „verantwortungs- und anspruchsvoll“, das auf jeden Fall. „Gerade das DEK war und ist ein ‚vielbrüüchiges‘ und kostenintensives Departement“ - das sei in angespannten Finanzsituationen ein Spagat. „Bei mir als ehemaliger Lehrerin erwartete die Lehrerschaft, dass ich besonders viel Verständnis für ihre Anliegen habe. Andere befürchteten, ich hätte zu viel davon.“
Ihr tat es nicht gut. „Ich war für das Amt wohl etwas zu dünnhäutig. Manchmal hat es mir fast das Herz zerrissen, wenn ich einschneidende Sparvorlagen vertreten oder Projekte schubladisieren musste“, resümiert sie heute. Den drei Regierungsrätinnen wünscht sie „gute Gesundheit, immer wieder auch Oasen der Ruhe und Zeit für sich selbst“ - dass sie sich nicht vom Amt auffressen lassen.
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Gender 1996: Damals galt für den Gang ins Regierungsratszimmer noch ein strenges Protokoll: Erst der Präsident, dann der Vize, dann nach Zahl der Amtsjahre bzw. Alter. Bei ihrer ersten Sitzung hätte der mit Schawalder am gleichen Tag neu gewählte, aber ältere Hans Peter Ruprecht (SVP) – ein liebenswerter Polteri – vor ihr durchgehen sollen. „Als Gentleman hielt er mir aber die Türe auf und sagte: ‚Nach dir, Vreni‘.“
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Der Text ist zuerst in der Sommernummer des Ostschweizer Kulturmagazins Saiten erschienen. Danke für das Publikationsrecht nach St. Gallen.
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