von Sascha Erni, 10.04.2018
Vexer: Von der Kunst, Bücher herauszugeben
Seit 1985 betreibt Josef Felix Müller den Vexer-Verlag – und sieht ihn auch als Kunstprojekt. Thurgaukultur besuchte ihn anfangs Jahr in St. Gallen.
Von Sascha Erni
Wir treffen Josef Felix Müller nach starkem Schneetreiben an. Der Vexer-Verlag findet in den Räumen seiner Familie statt, in einem schmucken Einfamilienhaus mitten in einem St. Galler Wohnquartier. Nur der moderne Anbau lässt erahnen, dass hier mehr geschieht als das blosse Leben. «Der Anbau ist mein kleines Malatelier», erklärt uns Müller. «Mein richtiges Atelier ist in der Stadt.» Dann bietet er Hausschuhe und Kaffee an.
Josef Felix Müller ist seit den frühen 80er Jahren Künstler. Der gelernte Textilentwerfer hatte klein begonnen, mit zwei Schaufenstern an der Zürcherstrasse mitten in St. Gallen. Er hat sich immer jenseits des Mainstreams bewegt, auch als er der erste Ausstellungsmacher der Kunsthalle St. Gallen wurde. Ihn habe schon immer interessiert, wie gedacht werden kann– nicht gedacht werden darf.«Ich wollte Sachen, die mir wichtig sind, verbreiten», sagt Müller. Und schlägt damit den Bogen zu seinem Verlag, Vexer.
Ein Verlag auch als künstlerisches Projekt
Das Wort «Vexer» stammt aus dem Französischen und bedeutet zu irritieren, jemandem auf den Schlips zu treten. «Damals war mir das wichtig», erzählt der 62jährige lachend, als er sich an die Zeit um 1985 zurück erinnert. Aber auch heute noch gilt der damalige Leitspruch von Vexer: Anders über Kunst zu kommunizieren. Aber wie kam er überhaupt dazu, einen Verlag zu gründen? Mit entscheidend war ein Auslandaufenthalt in Frankreich, 1984. «Ich habe da, in der Fremde, gemerkt, wie wichtig Kommunikation generell ist. Kunst ist eine Sicht auf die Welt. Sie zeigt neue Aspekte auf, kommuniziert also mit den Rezipienten. Und umgekehrt sind Bücher eine wunderbare Möglichkeit, Inhalten näher zu kommen.» In diesem Sinne sei Vexer auch ein künstlerisches Projekt, ein Gefäss für Ideen. Ein Gefäss, das Gesellschaftsbilder sichtbar macht. «Das Schaffen von Büchern ist ein kultureller Akt.»
Der Ostschweizer Künstler und Verleger Josef Felix Müller in seinem kleinen Atelier in St. Gallen. Bild: Sascha Erni
Zur Kunst gehört auch meistens Handwerk, und so spielte das Handwerk schon früh eine wichtige Rolle bei Vexer. Die ersten Publikationen entstanden im Bleisatz und wurden von Müller und seiner Frau von Hand fadengeheftet. In den 80ern sei das noch möglich gewesen, erklärt er, heute sei es doch sehr exklusiv. Aber auch bei den neusten Publikationen steht das exakte gestalterische Handwerk mit im Zentrum, selbst bei einem literarischen Werk wie Michael Barthels «Prunk», das eben erst erschienen ist. (Rezension siehe unten.)
«eBooks funktionieren für die Kunst nicht.»
Das Verlagsprogramm wuchs langsam über die Jahrzehnte, manchmal erschien nur ein einzelnes der aufwendigen Bücher pro Jahr. Heute sind 150 Titel lieferbar, in Auflagen zwischen 300 und 2000 Exemplaren. Im Moment erhält Vexer sehr viele Projektangebote. Das liege sicher auch an der Sparte selbst, erklärt Josef Felix Müller. «Es gibt nicht viele Verlage im Kunstbereich», besonders in der Ostschweiz sei die Verlagsszene doch recht zusammengeschrumpft. Gleichzeitig sollen Bücher ja keine Luxusobjekte sein sondern zum vernünftigen Preis den Besitzer wechseln. Um das finanzieren zu können, übernimmt der Verlag den Vertrieb selbst. Wenn der Zwischenhandel wegfällt, erhöhe sich die Wertschöpfung ganz automatisch. Zusammen mit Sonderausgaben, deren Erlös in die Produktion fliesst, könne sich Vexer so auch Nischenprojekte leisten. Quersubventionierung quasi.
Ob manche Projekte mit kleinem Interessentenkreis nicht von einer rein digitalen Publikation profitieren könnten, wollen wir wissen. Josef Felix Müller verneint: eBooks würden für Kunst nicht funktionieren. Denn bei den gängigen eBook-Formaten lässt sich das Layout nicht exakt genug kontrollieren, es verschiebt sich oft abhängig vom Anzeigegerät. So oder so ist die Anzeige entweder zu klein oder zu gross für die von vom Kunstschaffenden gewünschte Wirkung, oder Schriften und Farben passen nicht.
Andererseits ist es so, dass viele Kunstschaffende etwas «Echtes» in Händen halten möchten – oder etwas Bleibendes, was besonders in der Performance-Kunst wichtig ist. Eine Ausstellung sei ja auch mal vorbei, eine Performance sowieso, das Buch aber bliebe. Müller zeigt uns «Skulptur» von Roman Signer, 1988 von Vexer herausgegeben. 2017 erschien dann eine chinesische Übersetzung als Faksimiledruck. Ohne das nun 30jährige Originalbuch wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen. «Vieles würde in der Kunst vergessen gehen, wenn man es nicht in Buchform sichert», sagt Müller.
Eine andere Generation, ein anderes Beziehungsnetz
Die letzten zehn Jahre wurden die Buchprojekte immer grösser, noch dazu wurden es immer mehr. Josef Felix Müller hatte aber nie die Idee, einen wirklich grossen Verlag aufzuziehen. Man dürfe sich die Sache nicht über den Kopf wachsen lassen, auch wenn sich die Arbeit nur schwierig delegieren lässt. «Es ist ein bisschen so wie ein Bauer, der seine Herde pflegen muss», sagt Müller lachend. Es bindet einen stark ein, der Kopf sei immer bei Kunst und Büchern.
Irgendwann stellte sich dann auch die Frage, ob das alles überhaupt noch Sinn habe. Glücklicherweise entschied sich seine Tochter Vera Ida Müller dazu, auch ins Kunstbuchgeschäft einzusteigen: Seit einigen Jahren gibt es den Vexer Verlag Büro Berlin. «Das ist sehr spannend, da sie ein anderes Beziehungsnetz hat und aus einer anderen Generation stammt», sagt Müller. Die Zukunft von Vexer scheint also gesichert. Und wie geht es für Josef Felix Müller selbst weiter? «Eines ist sicher: Ich will Bücher machen, bis ich nicht mehr stehen kann.»
Rezension zu «Prunk» von Michael BarthelWir sind überrascht, als uns Josef Felix Müller «Prunk» von Michael Barthel übergibt. Denn der wunderbar verarbeitete Band, schön gebunden und gesetzt, sei eine Fehlproduktion – die korrigierte Auflage befinde sich gerade im Druck, als wir den Verlag besuchen. Das ist doch kein Mängelexemplar? «Der Satz ist leicht verschoben», erklärt Müller. «Und Herrn Barthel ist eine exakte Grafik genau so wichtig wie uns.» Sprache als JazzMichael Barthel lebt mit einer Sprachstörung: Er stottert. Wenn er aber seine Sprechstücke vorträgt, merkt man schnell, dass er durch diese vermeintliche Schwäche eine ganz besondere Ausdrucksfähigkeit gewinnt. Barthel stottert beim Vortrag nicht – er verwendet Silben und Laute eher wie ein Free-Jazzer seine Phrasen oder eine Scat-Sängerin ihre Silben. Anders als im Jazz jedoch verwendet er in «Prunk» nur selten abstrakte Versatzstücke für seinen «Gesang», viel mehr setzt er auf Rhythmik, Wiederholungen und Melodie, um den Inhalt zu vertiefen. Manchmal als Kontrapunkt, manchmal als Verstärkung, manchmal ironisch. Barthels Sprechstücke erscheinen bei Vexer das erste Mal in gedruckter Form. Bild: Vexer Büro Berlin
Vera Ida Müller als Herausgeberin und den zwei Gestaltern Krispin Heé und Tim Wetter ist das scheinbar Unmögliche gelungen, Barthels Sprech-Kunst alleine mit Buchstaben, Syntax und Textsatz abzubilden. «Prunk» erinnert damit stellenweise an das Werk des Avantgarde-Poeten E. E. Cummings: Barthels Sprechstücke können nicht durch eine einfache Aneinanderreihung der Buchstaben wiedergegeben werden, die Position der einzelnen Wörter und Glyphen trägt ebenfalls Information in sich. Und hiermit ist dann auch das Rätsel um das uns überraschende «Mängelexemplar» geklärt: Damit die Sprechstücke in diesem fremden Medium gelingen können, ist höchste Genauigkeit vonnöten. |
Weiterlesen:
In loser Reihenfolge porträtiert Sascha Erni für thurgaukultur.ch Kleinverlage aus der Ostschweiz. Bislang in dieser Reihe erschienen sind:
Libelle Verlag: Zickzackflug und ein langsamer Abschied. Seit 39 Jahren führt das Ehepaar Ekkehard Faude und Elisabeth Tschiemer den Libelle-Verlag zwischen Lengwil und Konstanz. Nun ziehen sie sich aus dem Geschäft zurück. Zum Text
«Ein klares Profil ist entscheidend»: Am 13. Dezember erschien die 18. Publikation bei Triest, dem jungen Ostschweizer Fachverlag für Design, Typographie und Architektur. Thurgaukultur war in St. Gallen zu Besuch. Zum Text
Sprachkunst vom Bodensee: Der Nischenverlag Signathur aus Dozwil fällt durch seine Vielseitigkeit auf. Er konzentriert sich nicht auf ein spezielles Thema, die Nische liegt in der Sprache an und für sich. Zum Text
Die Reihe wird fortgesetzt.
Weitere Beiträge von Sascha Erni
- So funktioniert der Lotteriefonds (04.10.2018)
- Zwischen Druck, Verlag und Autorenschaft (23.07.2018)
- Libelle Verlag: Zickzackflug und ein langsamer Abschied (06.02.2018)
- «Ein klares Profil ist entscheidend» (08.12.2017)
- Absurd nah am Leben (15.06.2017)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Literatur
Kommt vor in diesen Interessen
- Porträt
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