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von Jeremias Heppeler, 18.05.2017

Reise in die Unendlichkeit

Reise in die Unendlichkeit
Das Künstlerduo Bildstein⎪Glatz mitten im LOOP. (von links: Matthias Bildstein und Philippe Glatz) | © Jeremias Heppeler

Auf dem Vorplatz der Kartause steht seit wenigen Tagen eines der spannendsten und mehrdeutigsten Kunstprojekte der gesamten Schweiz - der LOOP des Künstlerduos Bildstein⎪Glatz.

Text und Bilder: Jeremias Heppeler

Es wird immer Dinge und Umstände geben, die unsere Wahrnehmungs- und Vorstellungskraft sprengen. So wissen wir alle, dass das Universum unendlich ist, was das aber nun genau bedeutet, das vermögen wir nur bedingt zu denken. Deshalb schieben wir sie nur zu gern zu Seite, die Unendlichkeit, weil sie unserem Dasein, das sich bekanntermaßen vor allem durch seine Endlichkeit auszeichnet, irgendwie überflüssig und beängstigend wirkt. In der Kunst aber, die uns im Idealfall zu Denkleistungen und auch Erfahrungen anspornt, die wir für gewöhnlich nicht leisten, weil sie uns zu lästig oder nichtig vorkommen, dort wird die Unendlichkeit endlich erfahrbar – zumindest für einen kurzen Moment. Doch werden wir konkreter.

Wer dieser Tage zur Kartause Ittingen fährt, der bewegt sich in einem sattgrünen Farbenspiel. Der Frühling, der bald zum Sommer wird, hat die Wiesen und Wälder rund um das Kloster saftig gezeichnet. Dazu strahlt die Kartause selbst ihre ureigene Ruhe und Anziehungskraft aus. Eine ungetrübte Idylle! Doch ebendiese, das zeigt die Erfahrung, birgt jeder Zeit das Potential zum gefährlichsten Ort der Welt zu mutieren. Und auch in Ittingen bricht das Grün... In Schwarz. In Pink. In einer liegenden Acht. In ∞! Denn auf dem Vorplatz der Kartause steht seit wenigen Tagen eines der spannendsten und mehrdeutigsten Kunstprojekte der gesamten Schweiz. Schon von weiten erkennen wir "Loop", jenen schwarzen und 15 Meter hohen Doppellooping, den das Künstlerduo Bildstein⎪Glatz hier in die Landschaft konstruiert hat.

Über die Herausforderungen eines Mammutprojekts

15 Meter, das schreibt und liest sich so einfach. Wenn du aber wirklich davor stehst, dann werden dir die Dimensionen erstmals so richtig bewusst. 15 Meter sind hoch. Verdammt hoch. Auch deshalb ist der Doppellooping kaum zu fassen. Aus jedem Winkel ergeben sich neue Sichtweisen, eröffnen sich Kosmen der Beobachtung. Den Künstlern, die nun seit Wochen gemeinsam mit einem circa zwölfköpfigen Team, einer Konstruktionsfirma, Mitarbeitern der Kartause und mit verschiedenen Partnern aus der Industrie aktiv an der Umsetzung schraubten, geht es da nicht anders. Der schiere Stress des Prozesses ist Matthias Bildstein und Phillipe Glatz, die sich einst bei einem Graffiti-Event in Bregenz kennen lernten und seit 2003 gemeinsame Sache machen, sichtlich anzumerken. Obwohl der Loop an diesem Mittwochmorgen so gut wie fertig ist, ist der Druck noch nicht abgefallen. Bildstein und Glatz können ihr eigenes Werk selbst noch nicht so richtig greifen und fassen. „Der Gedanke: Wir machen einen Doppellooping klingt erstmal super. Von der Konstruktion her ist das fast ein Ding der Unmöglichkeit, weil jeder Winkel, jedes Blech ein Einzelstück ist. Jedes Teil hat einen anderen Winkel und ist zwar industriell gefertigt – gelasert oder gestanzt – aber jedes Stück ist einzeln gezeichnet, bis zur letzten Schraube!", erklärt Matthias Bildstein, der sich bis zuletzt noch selbst am Schweißgerät abarbeitete, die große Herausforderung eines solchen Mammutprojektes.

Zwischen Nostalgie und Futurismus

Zwei Jahre Entwicklungszeit brauchte der Ittinger Loop. Eine erste Idee (eine 50 Meter hohe Rampe, die im Nichts endet) wurde zunächst verworfen. Ein liegendes Unendlichzeichen im Innenhof war auch nur eine Zwischenidee. Der Doppellooping markierte dann die maximale konstruktive Herausforderung inklusive unzähliger künstlerischer Entscheidungen: „Es war ein ziemlich spannender Konstruktionsprozess. Nach und nach ist dann doch auch klar geworden, was es statisch alles braucht. Da gab es stetig neue Herausforderungen. So war der ganze Bauprozess ein ziemliches Experiment. Und das Experimentelle ist auch das, was die Arbeit dieser Künstler letztendlich auszeichnet.", beschreibt Kuratorin Stefanie Hoch die Arbeit am Looping. „Von daher ist das ein Gebilde, in dem sehr viel drin steckt. Irgendwo zwischen Nostalgie und Futurismus, das auch ganz zeitgenössische Fragen aufwirft. Nach einer Leistungsgesellschaft. Auch auf ironische Weise, nach diesem höher, schneller, weiter'."

Aufgewirbelte Verweise und Assoziationen


Erst im zweiten Schritt, erkennen wir, das die praktische und optische Faszination dieses irrwitzigen Skulptur einen umso komplexeren, theoretischen Unterbau besitzt. Denn wer anfängt „Loop" zu googeln, der befindet sich alsbald in einem ebensolchen. Der Begriff Loop zieht sich in allen Spektren durch die Wissenschaften und Künste und all diese Verweise und Assoziationen werden von Bildstein⎪Glatz nun aufgewirbelt. In der Musik etwa kennen wir den Loop als kurze, sich stetig wiederholende Sequenz. Rhythmisch. Narkotisch. Hypnotisierend. Besonders ergiebig erweist sich die zunächst zärtliche Fährte auf das Möbius-Band. Jene scheinbar unmögliche Fläche, die einst vom Astronomen August Ferdinand Möbius beschrieben und von H. C. Escher legendär in den Kosmos der Kunst übersetzt wurde, die in sich verdreht einen unfassbaren Effekt erzählt: Wenn da einer auf dem Möbius-Band gehen würde, so könnte er zuerst die Innenseite, dann die Außenseite laufen - und ewig so weiter. Auch hier: Unendlichkeit!

Das Kopfkino wird angeworfen

Das wirklich Besondere an der Installation von Bildstein | Glatz ist allerdings die spielerische Leichtigkeit, mit der das Künstlerduo all diesen tonnenschweren Kontext aufzeigt. Denn der Loop erscheint uns trotz seiner offensichtlichen Schwärze nicht als düsteres oder gar dystopisches Zeichen, im Gegenteil... Die Künstler haben eine Bildsprache gewählt, die wir mit Freizeit und Spaß assoziieren. Der Loop besitzt die Ästhetik einer Halfpipe, dazu kommt der auf der Innenseite (und von Hand!) aufgetragene und nicht endende Schriftkreis, der in grellen Pink und in Graffiti-Optik aufgetragen wurde. So scheint die Skulptur jederzeit für einen Skater oder waghalsigen Stuntmann bereit, der sich traut auf den Bahnen der Unendlichkeit zu fahren. Dazu Phillipe Glatz: „Die Größe der Skulptur hat mir ihrer vermeintlichen Benutzbarkeit zu tun. Es wäre also theoretisch möglich, dass einer mit dem Motorrad mit einem Raketenantrieb drin herum fahren könnte – rein von den Dimensionen her. Durch solche konzeptuelle Entscheidungen, kommt dann etwa auch der Abstand zwischen den beiden Ringen oben zustande." Ebendieses Netz der kleinen Details wirf bei uns Beobachtern automatisch das Kopfkino an. Was wäre wenn?

Alles dreht sich im Kreise

Nun könnten auch wir an dieser Stelle ewig so weitermachen und einen Verweis an den nächsten Reihen. Doch dann würde sich auch dieser Text irgendwann im Kreis drehen. Gestatten sie mir nur eine finale Assoziation: Der Physiker und Kognitionswissenschafter Douglas R. Hofstädter prägte Begriff der seltsamen Schleife und meinte damit (stark verkürzt!) logische Paradoxien, die immer wieder auf sich selbst verweisen. Und tatsächlich erscheint uns auch der Ittinger Loop, der für drei Jahre als abstraktes Eingangstor der Kartause vorsteht, als eine Art Bild gewordene, seltsame Schleife. Als ein Symbol der absoluten Selbstreferenz. Und: Als ein definitives Zeichen der Ambivalenz und damit auch der zeitgenössischen Kunst an sich. Ein monumentales Gebilde jedenfalls, das jeder Kunstinteressierte aus der Schweiz in den kommenden drei Jahren mindestens einmal gesehen haben sollte.

 

Ueli Abt von art-tv hat einen sehenswerten Video-Beitrag zur Entstehung des LOOPs produziert:

 

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