von Julia Christiane Hanauer, 29.06.2017
Wiederaufbauen oder nicht?
Zu antiken Zeiten war das syrische Palmyra eine Stadt mit enormer Strahlkraft. 1980 wurden die sehr gut erhaltenen Ruinen mit vielfältiger Geschichte zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt. Umso grösser war 2015 die weltweite Bestürzung als die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) grosse Teile Palmyras sprengte und auch Anfang diesen Jahres vor weiteren Zerstörung nicht zurückschreckte. Seit dem Angriff des IS fragen sich nicht nur Wissenschaftler: Soll Palmyra wieder aufgebaut werden? Eine neue Ausstellung in Konstanz gibt die Frage an die Besucher weiter.
Von Julia Christiane Hanauer
Um das Ende vorwegzunehmen: Mit der Frage, ob Palmyra rekonstruiert werden soll oder nicht, müssen sich auch die Besucher am Schluss der Ausstellung auseinandersetzen und sich letztendlich entscheiden. Denn die Schau will keine Antwort liefern. Ziel sei es, dass sich die Besucher während des Gangs durch den Bildungsturm eine eigene Meinung bilden, erläutert Eberhard Schlag, Professor für Architektur und Design an der HTWG Konstanz.
Beitrag aus der SRF-Tagesschau zu den Zerstörungen
Damit sich dazu jeder Besucher eine eigene Meinung bilden kann, haben 25 Studenten der Universität und der HTWG eine Ausstellung auf die Beine gestellt, die zugleich auch zeigt, was dabei herauskommen kann, wenn vier verschiedene Fachrichtungen aufeinandertreffen und ihre Kompetenzen miteinander verbinden. Das Ergebnis ist eine multimediale Schau, die so aufbereitet ist, „dass es Spass macht und verständlich ist", sagt Eberhard Schlag. Und auch wenn sich die Ausstellung derzeit noch in der Entstehung befindet: Ihr Konzept zeigt bereits, wie abwechslungsreich sie gestaltet sein wird und welch enormer Einsatz dahintersteckt.
Los geht es im Erdgeschoss mit einem „Zeitungsdschungel". Hier ist der Besucher umgeben von den Stimmen der weltweiten Presse. Gezeigt wird eine Sammlung verschiedenster Artikel zur Zerstörung Palmyras. Zudem soll es einen Twitter-Ticker geben unter dem Hashtag #palmyra, erläutert Eberhard Schlag.
Knotenpunkt der frühen Globalisierung
Im zweiten Raum wird dem Besucher die einstige Oasenstadt mit ihrer Entwicklung und Bedeutung vorgestellt. Denn zu ihrer Blütezeit zwischen dem ersten und dritten Jahrhundert „war Palmyra ein wichtiger Ort in der frühen Globalisierung", erläutert der Archäologe Stefan Hauser von der Universität Konstanz. Strategisch gut gelegen, war Palmyra ein wichtiger Knotenpunkt im Fernhandelsverkehr, dessen Netz zu dieser Zeit bereits von China über Indien bis hin zum Mittelmeer reichte und Palmyra den Stand einer „Mittlerstadt" zwischen diesen Ländern zuschrieb. Hauser erklärt, warum Palmyra bis heute eine herausragende Bedeutung hat: Auch wenn die Stadt bereits von den Römern teils zerstört worden war, so vermittelte sie noch heute mit kilometerlangen Säulenstrassen sowie mit zahlreichen Tempel- und Grabanlagen ein Bild ihrer einstigen Pracht. Palmyra sei ein Ort, der es aufgrund seines „fantastischen Erhaltungszustands" und in ungewöhnlicher Vielfalt erlaube, einen Eindruck davon zu bekommen, wie die Menschen in der Antike gelebt hätten. Zudem biete Palmyra neben Rom die zweitgrösste Anzahl antiker Porträts, die wiederum Aufschluss über Familienkonstellationen in dieser Zeit geben. Faktoren, die mit dazu beitrugen, warum Palmyra von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt worden sei.
Konstanzer Studenten beim Aufbau der Palmyra-Ausstellung im Bildungsturm. Bild: privat
Zurück nach Konstanz: Um die bewegte Geschichte der Stadt wiederzugeben, gibt es laut Eberhard Schlag in diesem Raum drei zentrale Elemente: Eine Zeitleiste bietet einen Überblick der historischen Entwicklung. Die städtische Entwicklung wird auf einem Medientisch im wahrsten Sinne des Wortes – mithilfe eines Lichtschiebers – näher beleuchtet und die wichtigsten Gebäude vorgestellt. Eine Weltkarte zeigt die damaligen Handelsrouten auf. Die Güter gibt es dabei zum Anfassen. Öffnet der Besucher den Deckel des Gefässes, in dem der Inhalt gelagert wird, so wird der Handelsweg dieses Gutes sichtbar.
Natürlich ist auch der Zerstörung Palmyras eine eigene Ebene gewidmet. Im aktuellen Zustand, also nach der Zerstörung durch den IS, sind 3D-Modelle der wichtigsten Gebäude ausgestellt. Mithilfe von Tablets bekommen die Besucher einen Eindruck darüber, wie verschiedene Gebäude vor und nach der Zerstörung aussahen und -sehen und können sich somit ein eigenes Bild vom Ausmass der Zerstörung machen.
Palmyra sei ein besonderer und bedeutender Ort – was durch die Zerstörung durch den IS auch noch einmal deutlich geworden sei, meint Archäologe Hauser. Die Unesco, die Palmyra zur Welterbestätte ernannt habe, stehe für internationale Vereinbarungen. Der IS habe mit dieser Tat mit der Weltöffentlichkeit in Kontakt treten und ein Zeichen setzen wollen. Und in diesem Zusammenhang wiederum stehe die Diskussion zum Wiederaufbau – denn auch damit könne wiederum ein Zeichen gesetzt werden.
Landschaft um Palmyra (2005) Bild: Von Wilhelms - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7113658
Soll Palmyra wieder aufgebaut werden oder nicht? Diese Frage gilt es auch für den Besucher zu beantworten. Er hat auf der letzten Ebene zunächst ausschliesslich die Wahl zwischen ja und nein, anschliessend erwartet ihn ein Parcours durch den Raum, bei dem er verschiedene Fragen beantworten muss. Zum Schluss gibt es fünf verschiedene Kategorien, in die sich die Antworten eingliedern lassen. Zudem kann der Besucher seine eigene, persönliche Meinung zu diesem Thema niederschreiben.
Doch ist es nicht noch viel zu früh, über den Wiederaufbau dieser antiken Stadt zu diskutieren, während in Syrien noch immer der Krieg tobt und noch lange nicht an Wiederaufbau gedacht werden kann? Eine Auseinandersetzung mit diesem Thema sei bereits jetzt dringend notwendig, meint Eberhard Schlag. Doch welcher Weg soll gegangen werden? Zur Auswahl stehen drei Möglichkeiten, erläutert er.
Drei Szenarien für die Zukunft von Palmyra
Palmyra im aktuellen Zustand belassen als historisches Denkmal der Zerstörung. Palmyra im Zustand vor der Zerstörung des IS rekonstruieren oder aber geschichtlich weiter zurückgehen und den Zustand vor der Zerstörung der Römer wiederherstellen. Fragen, die bereits heute auch von Wissenschaftlern rege diskutiert werden, erzählt Stefan Hauser. Doch wäre es nicht sinnvoll, zunächst zu diskutieren, wie man den Menschen helfen kann, nach Kriegsende ihre Städte wiederaufzubauen, ehe man darüber nachdenkt, eine Ruinenstadt zu rekonstruieren? Die klare Meinung von Stefan Hauser: Der Aufbau der Häuser und Städte in Syrien dürfe nicht gegen den Aufbau Palmyras ausgespielt werden. Ein Wiederaufbau Palmyras sei auch eine Frage der kulturellen Identität – und könnte ein Zeichen der Hoffnung setzen.
Die Ausstellung "Rebuild Palmyra" ist vom 30. Juni bis 17. September im Bildungsturm Konstanz zu sehen. Die Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, 10 bis 18 Uhr sowie Samstag und Sonntag, 10 bis 17 Uhr. Auch im Internet: http://rebuild-palmyra.de
So finden Sie den Bildungsturm:
Das Projekt
Bei diesem Projekt sind die Fachbereiche Geschichte und Informatik der Universität Konstanz sowie Kommunikationsdesign und Architektur der HTWG beteiligt. Dabei handelt es sich um einen viersemestrigen Kurs, an dessen Ende nun die Ausstellung im Bildungsturm steht. In den ersten beiden Semestern lernen die Studenten den theoretischen Hintergrund und beschäftigen sich mit der Frage, wie eine Ausstellung gestaltet werden kann. Ab dem dritten Semester wird das Projekt entwickelt und umgesetzt. „Die Energie, die dabei aufkommt, ist grossartig", freut sich Stefan Hauser. Von der HTWG sind beteiligt Eberhard Schlag (Professor für Architektur und Design) und von der Universität Stefan Hauser (Professor für Archäologie), Harald Reiterer (Professor für Mensch-Computer Interaktion) sowie Ulf Hailer (Mitarbeiter der Professur für Archäologie der altmediterranen Kulturen ) und Daniel Klinkhammer (Forschungsassistent bei Harald Reiterer).
„Schätze der Welt" mit dem Thema „Palmyra, Königin der Wüste"
Kooperierende Kreativität: Die Studenten der HTWG und der Universität Konstanz, gemeinsam mit ihren Professoren und Betreuern. Bild: Julia Hanauer
An drei Standorten in der Konstanzer Innenstadt befinden sich Kuben, die nach und nach abgetragen werden und Informationen zur Ausstellung liefern – um das Interesse zu wecken und Lust auf das Anschauen der Schau zu machen. Bild: Julia Hanauer
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