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20.11.2018

«Ich will nicht den Moralapostel spielen»

«Ich will nicht den Moralapostel spielen»
Schafherde (Bildlegende) | © Sam Müller

«Höhlenmord» heisst das neue Theaterstück von Dietmar Paul. Es basiert auf den Ereignissen des Kristallhöhlenmords, einem der bekanntesten Verbrechen der Ostschweiz. Seit 2012 ist die Tat verjährt – für den Regisseur «absolut unverständlich». Am 30. November gastiert das Stück vom St. Galler Theater «Das Klima» im Eisenwerk Frauenfeld.

Interview: Marion Loher

Herr Paul, Sie sind in Deutschland geboren und waren ein Jahr alt, als die beiden Mädchen 1982 in der Nähe der Kristallhöhle Kobelwald tot aufgefunden wurden. Weshalb handelt Ihr aktuelles Stück gerade vom Kristallhöhlenmord?

Dietmar Paul: Ich arbeite jetzt schon etwas länger in der Schweiz und habe durch die Medien von diesem Verbrechen erfahren. Ich war überrascht, als ich las, dass Mord in der Schweiz verjährt. In Deutschland und Österreich gibt es das nicht. In Deutschland wurde die Verjährung Ende der 1970er-Jahre abgeschafft, weil nach dem zweiten Weltkrieg viele Kriegsverbrecher untertauchten und man mehr Zeit brauchte, um ihnen den Prozess zu machen. Es ist für mich absolut unverständlich, dass ein Kapitalverbrechen wie der Kristallhöhlenmord verjähren kann, ohne jemanden je dafür belangt zu haben und man nach 30 Jahren auch keine Möglichkeit mehr hat, den Fall aufzuklären.

Dann steckt hinter dem Stück Höhlenmord auch eine politische Botschaft?

Zumindest wünsche ich mir, dass die Öffentlichkeit über das Thema diskutiert. Ich mag aber nicht mit erhobenem Zeigefinger dastehen und den Moralapostel spielen.

Sondern?

Im Zentrum des Stücks steht nicht unbedingt der Mord, sondern vielmehr die Folgen eines solchen Verbrechens – vor allem für die Hinterbliebenen. Sandra, die Zwillingsschwester von einer der beiden ermordeten Mädchen, hat ihr Leben der Suche nach dem Täter gewidmet. Kurz vor der Verjährung kommt sie mit neuen Beweisen, die den Schuldigen überführen könnten. Doch der zuständige Staatsanwalt weigert sich, den Fall wieder aufzurollen. Sandra steigert sich hinein, kann nicht loslassen und greift zu drastischen Mitteln. Die beiden Schauspieler Eveline Ketterer und Tobias Stumpp schaffen es ausgezeichnet, die innere Zerrissenheit der Figuren spürbar zu machen.

«Ich wollte keine Nacherzählung der Ereignisse des Verbrechens.»

Dietmar Paul, Regisseur

  

Weshalb haben Sie als Protagonistin die Zwillingsschwester geschaffen?

Ich wollte keine Nacherzählung der Ereignisse des Verbrechens, also nicht die Opfer exponieren. Dennoch suchte ich die bestmögliche Authentizität, und mit einem eineiigen Zwilling ist es fast so, als wenn der Mensch, der damals getötet wurde, 30 Jahre später auf der Bühne steht. Die Zwillingsschwester kann stärker als andere Geschwister darstellen, was aus dem Menschen geworden wäre, würde er heute noch leben. Im Stück gibt es eine Stelle, wo Sandra zum Staatsanwalt sagt: «Schau mir in die Augen. Es sind ihre Augen, ihre Lippen, es ist ihre Stimme.»

Das Verbrechen ist seit sechs Jahren verjährt. Weshalb bringen Sie das Theaterstück jetzt auf die Bühne?

Wäre ich vor sechs Jahren in St.Gallen gewesen, hätte ich es damals gemacht. Mir ist das Thema Verjährung sehr wichtig, und das ist heute genauso aktuell wie damals. Gerade eben ist wieder ein Buch herausgekommen, in dem es um ungeklärte Morde geht und die Frage, in wie weit die Verjährung sinnvoll ist. Mit dessen Autor, Walter Hauser, habe ich mich intensiv ausgetauscht. Bei meiner Recherche habe ich auch gemerkt, dass das Thema die Leute interessiert und viele, genau wie ich, nicht verstehen können, weshalb die Verjährung nicht aufgehoben wird. Ich weiss, dass es in der Politik auch schon Bestrebungen in diese Richtung gegeben hat, getan hat sich bisher aber nichts.

Der «Höhlenmord» ist kein investigativer Krimi, sondern ein fiktives Drama. Haben Sie trotzdem eine Theorie, wer der Kristallhöhlenmörder sein könnte?

Wenn ich eine Theorie hätte, würde ich die sicherlich nicht laut sagen. Ich habe während meiner mehrmonatigen Recherche viel gehört und einiges erfahren, und die eine oder andere Theorie erscheint mir ziemlich plausibel.

«Eine besondere Faszination für Verbrechen habe ich nicht.»

Dietmar Paul, Regisseur

  

Wer hat Sie bei der Recherche unterstützt?

Ich habe mit verschiedenen Leuten gesprochen, mit Richtern und Fallanalytikern, sogenannten Profilern, mit Menschen aus Goldach, welche die Familien der Opfer kannten, und mit der IG Kristallhöhlenmord. Ich habe aber nicht nur in Bezug auf die Mordopfer recherchiert, sondern auch mit Menschen geredet, die ebenfalls eine nahe stehende Person verloren haben, sowie mit Seelsorgern.

Hatten Sie im Vorfeld keine Bedenken, dass das Stück bei den Angehörigen der Opfer alte Wunden aufreissen könnte?

Natürlich hat mich das beschäftigt. Ich wusste aber auch, dass die Hinterbliebenen nicht darüber reden wollen. Deswegen habe ich auch eine eigene Geschichte entwickelt, zwar mit einigen Parallelen zum Kristallhöhlenmord, grundsätzlich aber total eigenständig.

Mit Höhlenmord bringt das Theaterensemble «Das Klima» sein siebtes Theaterstück auf die Bühne. Es ist nach Unter Null Ihr zweites Stück, das ein bekanntes Verbrechen der Ostschweiz thematisiert. Ist ein drittes regionales Krimi-Drama bereits in Planung?

Nein, unser Ansatz war ein regionales Thema aufzugreifen, das die Menschen in der Gegend interessiert. Dass es nun wieder ein Mordfall geworden ist, ist reiner Zufall. Eine besondere Faszination für Verbrechen habe ich nicht.

 

Hintergrund: Der Kristallhöhlenmord

Im Sommer 1982 verschwanden die 15-jährige Karin Gattiker und ihre zwei Jahre ältere Freundin Brigitte Meier auf ihrer Velotour durch die Ostschweiz in Oberriet. Am 31. Juli wurden die beiden Goldacherinnen zuletzt lebend gesehen. Neun Wochen später entdeckte ein Wanderer ihre Leichen im Wald, nahe der Kristallhöhle Kobelwald. Die Todesursache blieb unbekannt, die Polizei ging jedoch früh von einem gewaltsamen Tod aus. Ein Täter wurde nie ermittelt, der Fall nie aufgeklärt. Seit 2012 ist die Tat verjährt, die Beweise wurden vernichtet.

 

Hinweis: Das Interview erschien zuerst auf saiten.ch   

 

Eh voila - das ist ein Zitate-test

Hans-Ulrich Haggenbaas

 

 

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