von Michael Lünstroth, 18.10.2018
Zugvögel im Keller
Was sind das für Menschen, die heute noch Modelleisenbahnen bauen? Der Thurgauer Autor Giuseppe Spina hat ihnen ein Theaterstück gewidmet. Ab 27. Oktober kommt es auf die Bühne.
Superstars haben manchmal die erstaunlichsten Hobbies. Rod Stewart zum Beispiel. Der britische Sänger ist begeisterter Modelleisenbahnbauer. Seine Leidenschaft gilt heute H0 statt Sex, Drugs, und Rock’n Roll, wie er der Zeit 2006 verriet: "Vor ungefähr fünfzehn Jahren habe ich begonnen, meine Modelleisenbahn zu bauen. Sogar auf Tour nehme ich Teile meiner Eisenbahn mit. Ich verbringe die freien Stunden mit Kleben, Malen und Basteln - wunderbar entspannend! Ich mache das in einem separaten Hotelzimmer, eine Modelleisenbahn braucht einen eigenen Raum, der Leim und die Farben riechen schlecht und geben ungesunde Dämpfe ab.“ Einer seiner grössten Träume damals, „einmal auf dem Cover des Magazins Railway Modeller abgebildet zu sein. Das ist die Bibel der Modelleisenbahner.“ Sein Traum sollte sich ein paar Monate später erfüllen.
Vielleicht ist es diese leicht Schräge, was Popstars und Modelleisenbahnbauer verbindet. Oder die Möglichkeit, sich mit Haut und Haaren in seine ganz eigene Welt vertiefen zu können. Die Männlichkeitsformel ist hier kein Zufall, denn Frauen finden sich kaum unter den H0-Fetischisten. Für Giuseppe Spina von der Frauenfelder Theaterwerkstatt Gleis 5 sind sie jedenfalls „eine spezielle Gattung Mensch, die zu oft belächelt wird“, sagt er im Gespräch mit thurgaukultur.ch Dem wollte er etwas entgegensetzen und hat einen Theatertext über einen prototypischen Modelleisenbahnbauer geschrieben. „Mein Leben in H0 - Ein Monolog im Massstab 1:87“ heisst er und wird ab Samstag, 27.Oktober, in der Theaterwerkstatt aufgeführt. „Ein liebevolles Porträt“ soll es werden, sagt Spina, keine Freakshow.
Bäume, Berge, Tunnel - das ist Erwins Welt
Bei den Proben, 16 Tage vor der Premiere, wirkt alles noch sehr gelassen. Hauptdarsteller Joe Fenner, er spielt den Rentner und Modelleisenbahner Erwin, steht inmitten einer eigens für die Inszenierung aufgebauten H0-Welt. Bäume, Berge, Tunnel, Häuser, Züge. Alles im Kleinformat. Fenner probt an seinem Text. Grauer Arbeitsoverall, Sandalen, Socken, kariertes Hemd - in diesem Aufzug hat er tatsächlich etwas von der üblichen Vorstellung von einem Modelleisenbahnbauer. „Wir sind die wortwörtliche Menschwerdung des vom Hundertsten ins Tausendste kommen“, sagt der Schauspieler. Regisseur Christoph Rath ist noch nicht ganz zufrieden: „Warte mal kurz. Wir müssen noch mehr ins Spielen kommen als ins Erzählen. Die Zuschauer sollen live dabei sein, wenn du gerade in dem Moment Deine Gedanken fliessen lässt“, erklärt Rath, der in den vergangenen Jahren in verschiedenen Projekten als Schauspieler und Regisseur in der freien Szene gearbeitet hat.
Was ihn an dieser Geschichte interessierte? „Wir wollen einen Einblick geben in diese exotische Welt. Erwin ist eine spannende Figur, sie ist nicht an eine konkrete Person gebunden, sondern eine Verdichtung aus vielen Modelleisenbahnern“, sagt Rath. Für ihn geht die Geschichte auch über den Modellbau hinaus: „Es geht auch um den Wunsch vorzukommen in dieser Welt, nicht aufzugeben und beherzt dagegen anzukämpfen, dass am Ende nichts von einem bleiben könnte. Im besten Falle wird es auch eine Geschichte des Empowerments über das eigene Leben“, findet der Regisseur. Was das genau bedeutet, beschreibt er so: „Dass man am Ende das Gefühl hat, sich für keine Entscheidung im Leben, keine Weichenstellung, schämen zu müssen.“
Das Stück will auch eine Allegorie auf das Leben an sich sein
Das Stück wolle die Zuschauer auch dazu einladen, sich über die Weichenstellungen im eigenen Leben Gedanken zu machen, heisst es in einer Medienmitteilung zur Inszenierung. Gemeinsam mit Erwin könne man sich die Fragen stellen: „Wo und wann wurden in seinem Leben die entscheidenden Weichen gestellt? Wann genau ist der Zug für ihn abgefahren? Hat sein inneres Kind, das ihn immer wieder zum Bau der Anlage angetrieben hat, letztlich auf ein Abstellgleis geführt?“ Schon die sprachlichen Parallelen machten das Stück auch zu einer Allegorie auf das Leben, findet Autor Giuseppe Spina.
Er habe sich bewusst dafür entschieden, das Stück nicht selbst inszenieren zu wollen: „Ich habe in der Recherche mit so vielen Menschen gesprochen, habe so viel gelesen, dass ich mich wahrscheinlich im Detail verzettelt hätte“, so der Autor. Als Kind habe er selbst auch mit Modelleisenbahnen gespielt. Geweckt wurde das neuerliche Interesse daran aber erst wieder, als sich sein Sohn für die kleinen Züge interessierte. Als Spina nach YouTube-Videos googelte, um Anleitungen für den Aufbau einer solchen Anlage zu finden, fand er eine Dokumentation über drei Modelleisenbahner. „Alle drei Leben haben mich auf ihre Art berührt, das war eine spannende Ausgangslage für eine Theaterfigur, deshalb wollte ich unbedingt diesen Text schreiben“, so der Autor Giuseppe Spina.
Die alte Frage: Noch mal von vorne anfangen? Oder alles lassen wie es ist?
Nochmal zurück auf die Bühne: Da steht Spinas Erwin am Anfang des Stücks mit einem Vorschlaghammer in der Hand in seinem Keller. Um ihn herum sausen die Züge. In seinem Gesicht erkennt man viele Fragen: Alles zerstören und noch einmal einen Neuanfang wagen? Aber welchen? Oder alles stehen lassen und sich damit abfinden, dass letztlich alles so gekommen ist, wie es kommen musste? Antworten darauf gibt es ab 27.Oktober in der Theaterwerkstatt Gleis 5 in Frauenfeld.
Termine: Premiere von „Mein Leben in H0 - Ein Monolog im Massstab 1:87“ ist am Samstag, 27.Oktober, 20 Uhr, in der Theaterwerkstatt Gleis 5 in Frauenfeld. Weitere Aufführungen am 9./10./16. und 17. November. Tickets kosten 35 Franken. Reservationen möglich per E-Mail unter karten@theaterwerkstatt.ch Im Anschluss soll das Stück auf verschiedenen Kleinkunstbühnen in der ganzen Schweiz, sowie in Deutschland und Österreich zu zeigen.
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