von Jochen Kelter, 23.04.2018
In letzter Sekunde die Handbremse gezogen
Nach der weltweiten Debatte: Die Premiere von George Taboris "Mein Kampf" am Theater Konstanz führt doch nicht zum Eklat
Von Jochen Kelter
Viel Volk, viel Auflauf an diesem sommerlichen Abend vor dem Stadttheater und drinnen im Foyer. Ein paar Polizisten passen auf, dass bei dem Gedränge niemand vom Trottoir auf die Fahrbahn gerät, müssen aber sonst nicht eingreifen. Keine Proteste, geschweige Tumulte. Zeitungs- und Rundfunkjournalisten, Fernsehteams drinnen und draussen: ARD, ZDF, SWR, Radio SRF, die NZZ, sogar Bild und Blick entdecken die Hochkultur. Es ist schwierig, zur Kasse oder ins Innere vorzudringen, ohne Interview-Fragen zu beantworten. Und es kursieren Meldungen und Gerüchte.
So soll das Theater dem SWR-Fernsehen untersagt haben, im Foyer zu drehen. Ein nachvollziehbares Verbot, denn es war klar, dass es ausschliesslich darum ging, die Hakenkreuze oder Judensterne zu filmen, die sich die Besucher wahlweise ans Revers stecken sollten. «Hakenkreuz oder Davidstern? Freikarte oder bezahlen? In diesem Moment müssen Sie sich auseinandersetzen mit dem Hitler in sich», schreibt der Referent von Intendant Nix im Programmheft. Ob das so einfach wäre? Reservierungen für insgesamt 50 Freikarten mit der Auflage, das Hakenkreuz zu tragen , habe man erhalten, so das Theater. Also 50 Faschisten? Oder doch nur einige 'Geiz ist geil' - Fans oder Studenten, die sich keine Eintrittskarte leisten können oder wollen?
Dia-Show: Bilder aus der Inszenierung
Eine anderes Meldung lautet, zwei russische Journalisten seien eigens für ein Interview mit Kulturbürgermeister Osner eingeflogen und gleich danach zurückgereist. Das Stück von George Tabori hat sie, wenn es denn stimmt, nicht interessiert, die Frage nach dem Antisemitismus in Deutschland und Hakenkreuzen in einem deutschen Theater wahrscheinlich schon. Herr Osner gab vor dem Theater bereitwillig Interviews und erklärte erneut, dass er die Inszenierung für geschmacklos halte und sie daher boykottiere, bevor er zu «einer anderen Veranstaltung» weiterzog (so der örtliche Südkurier). Vermutlich zu einer SPD-kompatibleren, die Sozis hatten es halt noch nie so mit der Kultur.
Gerüchte haben an diesem Abend Konjunktur
Kurz bevor die Vorstellung hätte beginnen sollen, kam dann doch noch eine gewisse Unruhe auf, weil die Besucher nicht in den Theatersaal gelassen wurden. Wieder Gerüchte: Die Vorstellung falle aus oder die vom Theater verbreitete Version, ein Beamer sei ausgefallen, man sei dabei, ihn zu reparieren. Mit einer halben Stunde Verspätung wurde das Publikum dann doch ins Theater eingelassen. Und meiner Vermutung für die Verspätung nahm in dem Moment eine Wendung, als niemand aufgefordert wurde, sich ein Hakenkreuz oder einen Davidstern an die Brust zu stecken. Ganz zum Schluss der Aufführung, nachdem ein Schuss gefallen ist, der Hitler trifft, regnet es aus den Leuchtern unter der Decke bunte Papierschnitzel in den Zuschauerraum. Das waren, obwohl ich persönlich keinen in der Hand gehalten habe, die zerschnittenen Hakenkreuze und Judensterne. Und diesen neuen Gag anstelle des ursprünglichen, über den sich trefflich streiten lässt, so kurzfristig zu improvisieren, kostet natürlich Zeit - die die Zuschauer vor den Eingängen warten mussten.
Ragen aus dem Ensemble heraus: Die Darsteller von Schlomo Herzl (Thomas Fritz Jung) und Adolf Hitler (Peter Posniak) bei der Premiere von Taboris «Mein Kampf» am Theater Konstanz. Bild: Ilja Mess/Theater Konstanz
Der Gag, der Medien-Hype, um den sich in den Wochen vor der Premiere alles gedreht hatte, war nun also plötzlich weg. Und das war gut so. Es hätte ihn von Anfang an nicht gebraucht. Wer immer diesen Einfall gehabt hat, es heisst, er stamme von Regisseur Somuncu, musste wissen, was er damit anrichtet., wie scharf die Medien nicht auf Taboris Stück, sondern darauf sind, was ein Hakenkreuz, ein Judenstern in der Öffentlichkeit bedeuten, wer sich in Deutschland heute traut, so etwas zu tragen. Hatte man es darauf angelegt? Intendant Christoph Nix verneint. Wie immer, dem Stück wird es in den kommenden Wochen ein volles Haus bescheren, und das ist der positive Aspekt der Angelegenheit, die die Medien bis Lübeck, Berlin und New York beschäftigt hat. Diese sollten sie zum Anlass nehmen, über ihre eigene Aufmerksamkeits- und Einschaltquotengeilheit nachzudenken. Meine Voraussage: Sie werden bei nächster Gelegenheit wieder genauso reagieren.
Die verzweifelte Aktualisierung überfrachtet das Stück
Auch über das Datum der Premiere wurde gestritten und getwittert. Egal, ob nun Tabori persönlich Nix einst zu diesem Termin geraten hat, den alten und neuen Nazis und Rechten diesen Termin, "Hitlers Geburtstag" wegzunehmen, ist für mich durchaus ein positiver symbolischer Akt. Ach ja, Theater gespielt wurde an diesem Abend auch noch. Taboris Stück, dem der Autor die Gattungsbezeichnung «Farce» beigibt, ist schnell erzählt: Schlomo Herzl («Sie sehen gar nicht wie ein Jude aus») nimmt sich in einem Männerwohnheim in Wien um 1910 des von der Akademie abgelehnten Möchtegernmalers Adolf Hitler an («man sollte Ihnen verbieten, irgendetwas anderes anzumalen als ein leeres Zimmer»), schlägt ihm vor, Politiker zu werden, formt ihn und schenkt ihm sogar den Titel des Buchs, an dem er schreibt: Mein Kampf.
Aus den guten Schauspielern ragen die Darsteller von Schlomo und Hitler (Thoma Fritz Jung und Peter Posniak) noch besonders heraus. Das Bühnenbild ist zurückhaltend bis minimalistisch. Die Inszenierung versucht, den Stoff zu aktualisieren und überfrachtet ihn nach meiner Meinung damit. Allzu viele Fäkalien, nicht motivierter kruder Sex, zu viele überflüssige Anspielungen auf die Gegenwart, die nicht weiterverfolgt werden (können): Da tanzt Hitler zu Musik von Helene Fischer, Trump spielt kurz mit, und "Frau Tod" wird von Theresa May verkörpert. Dazu noch Björn Höcke, Alexander Gauland, die Balkanroute und ein dunkelhäutiges Baby (aus Gummi) das nach allen Regeln der Perversion zerhackt und zerteilt wird. Mitunter ist gut gemeint das Gegenteil von Kunst.
Weitere Aufführungen von «Mein Kampf»: 24./26./28. April, 2./3./4./5./9. Mai. Alle Daten im Überblick und Tickets gibt es hier
Szene aus der Inszenierung «Mein Kampf» von Serdar Somuncu am Theater Konstanz. Bild: Ilja Mess/Theater Konstanz
Von Jochen Kelter
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Kommt vor in diesen Ressorts
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- Kritik
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