von Samantha Zaugg, 10.10.2018
«Das kannst du in Frauenfeld nicht machen»
Ein grosses Projekt in einer grossen Stadt, mit dabei zwei Thurgauer. Galotti soll die Schweizer Musikszene aufmischen. Mitinitiator Klaus Hersche spricht im Interview über die Zürcher, die Thurgauer und wie durch die Musik vielleicht alles gut wird.
Baustelle in Zürich Wiedikon. Klaus Hersche führt durch den Backsteinbau an der Lessingstrasse. Hier wo jetzt noch blanker Beton liegt und statt Fenster noch Löcher klaffen, soll in gut einem halben Jahr Galotti starten, ein schweizweit einzigartiges Musikprojekt. Galotti will ein Treffpunkt sein für Freunde und Freundinnen der Musik. Das Projekt funktioniert als Lab, Plattform, Bühne, Bar, als Ort um Musik zu machen, zu lernen und zu hören. Zürich mag zwar der Schauplatz sein, es steckt aber ein grosses Stück Thurgau drin. Massgeblich beteiligt sind zwei bekannte Gesichter aus der Thurgauer Kulturszene. Claudia Rüegg, frühere Präsidentin der Thurgauer Kulturstiftung und Klaus Hersche ehemaliger Beauftragter der Kulturstiftung.
Klaus Hersche, Sie und Claudia Rüegg stammen beide aus der Ostschweiz, sind mit dem Thurgau verbunden. Da haben zwei Ostschweizer eine gute Idee, und dann gehen sie damit nach Zürich?
Ich habe bei diesem Projekt festgestellt, wie viele Thurgauer in Zürich aktiv sind. Ganz böse gesagt, wenn es nicht die Ostschweizer oder andere Kantone gäbe, dann würde in Zürich gar nicht so viel laufen. Manchmal braucht es Input von aussen. Als ich vom Projekt erzählt habe, hat mir irgend so ein Ur-Zürcher gesagt, so in seinem Dialekt «Das chasch gad vegässe.»
Ok, und wieso?
In Zürich muss zuerst ein Hype da sein. Wir sind ein niederschwelliges Musikprojekt, kein neuer schicker Klub. In Zürich ist es schwierig etwas Neues mit Spontaneität aufzubauen. Ich lebe jetzt seit zwölf Jahren hier, ich habe das oft genug erlebt. Zuerst gibt es einfach so etwas wie Widerstände, wie Misstrauen. Nicht auf eine boshafte Art, sondern eher im Sinne von Skepsis.
Wieso ist das wohl so?
Zürich ist die grösste Stadt der Schweiz, Zürich hat eine gewisse Haltung. Dieser Ur-Zürcher hat mir gesagt, «Wäisch, z Züri muäsch zerscht än füfzgär Itritt värlange, suscht funktioniärts nöd». Aber davon lasse ich mich nicht einschüchtern. Wie gesagt, wir sind ein niederschwelliges Projekt, unser Zielpublikum ist von jung bis alt, Manager bis arbeitslos, Einheimische, Migranten, Expats und so weiter. Unsere Idee ist eben genau, dass alle kommen, auch diejenigen, die nicht zahlen können.
Ich hätte eher gedacht das ist umgekehrt. In Zürich kann so ein Projekt funktionieren, Zürich ist eine grosse Stadt, da hat man ein Publikum.
Das ist das andere. Das ist auch der Grund, wieso wir das in Zürich machen wollen. Wir haben mit verschiedenen Leuten gesprochen, unsere Idee hat auch in andern Kantonen grosses Interesse ausgelöst. Aber diese Frage ist immer wieder gekommen: Wieso macht ihr das in Zürich? Zürich hat ja schon alles! Aber genau hier gibt es die nötige soziologische und demografische Situation. Es sind einfach viele verschiedene Leute da. So etwas kannst du nicht in Uster machen oder in Frauenfeld.
Würde Galotti im Thurgau nicht funktionieren?
Doch, vielleicht schon. Es wäre dann einfach anders, viel regionaler. Es ist eben so: Die Zürcher gehen nicht nach Frauenfeld. Hingegen die Frauenfelder gehen nach Zürich. Es geht ja bei Galotti nicht nur um Zürich, es geht auch um die Umgebung. Dazu gehört auch Frauenfeld und Baden. Wir leben ja in einem mobilen Land.
Wenn man so etwas im Thurgau machen würde, dann hätte man also einfach zu wenig Publikum?
Ja genau. Wir mussten unsere Idee schon nur für Schweizer Verhältnisse anpassen. Das Vorbild von Galotti ist eine Institution in Chicago. Unsere Initiantin, Claudia Rüegg, hat dort ein halbes Jahr gelebt und dabei die «Old Town School of American Folk Music» kennengelernt. Das ist ein Ort, wo sich Leute treffen, Workshops abhalten, jammen und zusammen Musik machen. Diese Institution existiert schon seit Ende der Fünfziger Jahre. So etwas gibt es in ganz Europa nicht.
Bleiben wir noch beim Thurgau: Wie würden Sie dort die lokale Musikszene beschreiben?
Das Problem im Thurgau sind die Distanzen. Die sind psychologisch extrem stark. Es will niemand ein Zentrum anerkennen. Frauenfeld ist wohl die Hauptstadt, aber man kann nicht sagen, Frauenfeld ist das Kulturzentrum. Dann kommen die Weinfelder und melden sich, die Kreuzlinger, die Arboner. Ich kenne keinen Kanton, der so stark dezentralisiert ist, der so viele verschiedene Zentren hat.
Und was heisst das auf die Musik bezogen?
Bei der Musik ist es genau das gleiche. Es gibt kein überregionales Ereignis. Das einzige was überregional ausstrahlt ist das OpenAir Frauenfeld.
Aber das hat ja nichts mit regionaler Kultur zu tun?
Nein, aber es ist einfach das einzige mit überregionaler Ausstrahlung. Die Kultur im Thurgau, und damit auch die Musik, ist einfach extrem verzettelt. In Zürich hat man dieses Problem nicht, Zürich ist klar das Zentrum. Es braucht einfach eine gewisse Masse an Leuten. Für schweizer Verhältnisse ist Zürich riesig. Mit der Agglo sind das eine Million Menschen. Und die Agglo gehört dazu. Das ist kein abschätziger Begriff.
Sie sagen, Galotti findet wohl in Zürich statt, ist aber nicht nur für Zürcher. Es soll ein Projekt mit niederschwelligem Zugang sein. Wieso braucht es so etwas überhaupt?
Einerseits ist Musik die Verständigungsform, in der Leute miteinander kommunizieren können, ohne dass sie die Sprache können. Wir leben in einer Zeit der Vereinzelung, der fehlenden Nachbarschaft, der Vereinsamung, der Schlafstädte. Wenn man zusammen singt, zusammen Musik macht, dann passiert etwas, das bei Diskussionen nicht unbedingt passiert: Die Leute kommen zusammen. Der zweite Grund ist, dass Musik als Konsumform funktioniert. Die Leute treffen sich um Musik zu hören, um Musik zu konsumieren. Wir wollen aber, dass Leute zusammen Musik machen. Viele Leute spielen zuhause Klavier, Gitarre oder Schwyzerörgeli. Sie machen zwar gerne Musik, finden aber, sie seine nicht gut genug um in einer Band zu spielen, oder auf eine Bühne zu stehen. Es geht uns um Laien, die wollen wir zusammenbringen.
Aber die könnten sich ja auch ohne euch zusammentun?
Ja, aber das machen sie eben nicht!
Wieso denn nicht?
Das kann verschiedene Gründe haben. Das sind vielleicht Hemmungen, Schüchternheit, fehlende Beziehungen oder kein richtiger Treffpunkt. Ein physischer Ort ist eben schon sehr wichtig. Miteinander zu musizieren, das ist ein Bedürfnis. Das stützen auch unsere Umfragen. Wir haben breite Umfragen gemacht, und das Echo war durchwegs positiv, es hat uns gezeigt, dass die Leute so ein Angebot wollen.
Wieso ist es so wichtig gemeinsam zu musizieren?
Daheim Musik machen tut schon gut. Aber es ist etwas anderes. Etwas völlig anderes. Machst du Musik?
Nein.
Es ist einfach etwas ganz anderes, allein Musik zu machen oder mit andern zusammen. Das kann man nicht vergleichen. Ich komme aus einem Kanton, wo es üblich ist zu singen. In Appenzell, da hat man immer gesungen in der Beiz. Das kreiert ein Zusammengehörigkeitsgefühl, eine Atmosphäre, bei der man merkt, die gehören irgendwie zusammen. Ich kann nur von mir sagen, es gibt nichts schöneres als gemeinsam zu musizieren. Du erlebst ein Gefühl von Kommunikation, mit Leuten, die Du nicht kennst.
Was hinter Galotti steckt
Galotti soll ein Treffpunkt sein für Freunde und Freundinnen der Musik. Das Projekt funktioniert als Lab, Plattform, Bühne, Bar, als Ort um Musik zu machen, zu lernen und zu hören. Das Angebot richtet sich an Alte, Junge, Laien, Profis, sämtliche Nationalitäten und Musikstile.
Finanziert wird das Projekt über Crowdfunding, so hat Galotti innert rund einem Monat 100'000 Franken gesammelt. Dazu kommen Spenden und Stiftungsgelder. Das Geld wird eingesetzt um die Liegenschaft an der Lessingstrasse auszubauen, um Mobiliar und Instrumente zu kaufen.
Zur Website von Galotti: https://www.galotti.ch/
Galotti auf Facebook: https://www.facebook.com/galottimusic/
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