von János Stefan Buchwardt, 23.03.2018
Manifest für Interaktion
Das Kunstmuseum Thurgau zeigt aktuell eine Auswahl periodisch neu erworbener Objekte. Wo indes liegt der Reiz zeitgenössischer Kunstwerke? In unserer Serie «Neue Kunst in der Kartause» geben wir Antwort. Teil 2 widmet sich Reto und Markus Hubers Regenbogensteinen und ihrem «Prozess des Veschwindens».
Über den Ankauf eines Hinterglasprints der in Zürich lebenden Zwillingsbrüder Reto und Markus Huber hält die verantwortliche Delegation des Kunstmuseums Thurgau beschreibend fest, dass der sichtbare Dunkel-Hell-Verlauf dafür sorge, dass etwa das Spiegelbild derjenigen, die das Werk abschreiten, im Bild wie im Nebel verblasse. Zusätzlich wird die Errungenschaft aus dem Jahr 2016 um zwei Flusssteine aufgestockt, «die veredelt mit unzähligen Lackschichten und einem Effektlack zu oszillierenden Objekten werden.»
Mitte Januar 1975 erblickten die Gebrüder Huber in Münsterlingen im Bezirk Kreuzlingen das Licht der Welt. Seit 2005 macht das Duo Kunst. Es hat mittlerweile beachtliches Renommee angehäuft, weiss Kunsthäuser und Ausstellungshallen hinter sich, in Glarus, Lugano, Zürich und Schaffhausen. Ein Atelierstipendium, einen Förder- und einen Kulturpreis, sogar eine Monografie weist die Vita auf. Und nun ist selbst eine Kartäuserzelle im Geburtskanton mit zwei verblüffenden Werken geschmückt, die einnehmend miteinander korrespondieren.
Originalton Markus Landert: «Der grosse ‹Halbspiegel› verbindet sich dadurch mit den Steinen, dass sie zusammen ein atmosphärisches Ereignis bilden.» Bild: János Stefan Buchwardt
Kunst ist Kommunikation
Als puristische Note will das je nach Lichteinfall regenbogenfarbene Steinensemble gut in die ehemalige Mönchsklause passen. Wenn die Fachkundigen in Ittingen von mineralischer Masse als einer «sich spannungsvoll zwischen technoider Hochglanzästhetik und rauer Naturform» situierenden Arbeit sprechen, wird auf das leise Verströmen von Diskretem und Handfestem, schliesslich auf die irisierende Unterkühltheit in der Spielanordnung verwiesen. Emotionale Reibungsflächen gilt es über Kontemplation, empfundene Lebendigkeit über Anschauung zu entdecken.
Gut, die kieselsteinige Auslegung zeugt von versiegelter Natürlichkeit, ihre Künstlichkeit streift Kitschphänome. Oberflächen, Farbverläufe, Spiegelungen, Regenbogenfarben, das war auch explizites Leitmotiv bei einer «huber.huber»-Einzelausstellung in der Kunsthalle Arbon, für die die erworbenen Stücke gefertigt wurden. Hinter der irritierenden Verfremdung vermutet der Museumsdirektor Markus Landert die Infragestellung von Aufwertungsstrategien an sich: «Unser Auge wird getäuscht, erfreut und getriezt. Wir werden regelrecht aufs ästhetische Glatteis geführt.»
Originalton huber.huber: «Wir reflektieren unsere direkte Lebenswelt und gehen nach getaner Arbeit wachsamer und offener durch die Welt als vorher.» Bild: János Stefan Buchwardt
Kunst stellt Fragen
Vielschichtigkeit wohnt grundsätzlich auch der Interpretation von Kunst inne. Wir tragen Fragen an sie heran und umgekehrt. Unerwartet vergleicht Landert die farbtechnologische Arbeit von Schwarz zu Weiss an der Museumswand mit der Landschaftsmalerei im 18. Jahrhundert. «Natürlich sei es gewollt, dass wir uns verheddern», so die direktoriale Einschätzung. Das Bild könnte auch «Aufsteigende Dämmerung» heissen. Die Magie der Verneblung im «Prozess des Verschwindens» versetzt uns in eine Art konstruktive Unruhe.
Wen denn packte hier nicht die reine Fragelust? Wie und wo verbirgt sie sich, die Frage nach dem Numinosen im Bild? Provoziert das sogenannt Göttliche in der Natur, was nicht benannt und abgebildet werden darf, nicht auch hier das kulturhistorisch so eindrücklich gesetzte Gefühl des Erhabenen? Und überhaupt: Wenn ich mich darin spiegle, gehöre ich dann dazu oder bin ich nur hinwegzudenkender Störfaktor? Geradezu spukhaft wird das eigene Spiegelbild beim Abgehen der Farbnuancen von Schwarz zu Weiss zu eben diesem Hell hin schwächer.
Originalton huber.huber: «Die Technik ist simpel. Hinter ein Glas haben wir einen Farbverlauf von Schwarz zu Weiss printen lassen. Durch den Widerschein des Glases mit diesem Hintergrund verblasst das Spiegelbild, wenn ein Betrachter diese 3 Meter Spiegelfläche abschreitet.» Bild: János Stefan Buchwardt
Unterhaltung und Debatte
Um es im jelinekschen Wortspielmodus auszudrücken: Wo Kunst zum Sich-darüber-Unterhalten anregt, unterhält sie und sorgt nicht zuletzt auch für den Unterhalt der Kunstschaffenden. Wenn Landert – sozusagen über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden – die Parole vom «Manifest für die Interaktion des Betrachters» entwickelt, dann meint er in diesem Fall damit das schlichte Gebot, vor dem Bild hin und her zu gehen und sich dabei dringlich zu fragen: Was ist ein Bild, was eine Erscheinung?
Solch elementare Fragen, die bei huber.huber Programm sind, beflügeln den Diskurs. Den Kopf muss man schon bewegen, zumindest ihn, um das Schillern des Lackes auf den Steinen zu bemerken. In den Museumsräumen sollen wir wahrnehmungspsychologisch sensibilisiert werden. Heutzutage werde die Befreiung des Betrachters vor dem Kunstwerk eingefordert. Nichts anderes als die Werteskala der «Apperzeption» steht beim Zwillingspaar auf dem Prüfstand. Die lebhafte Aufnahme von sinnlich Gegebenem ins Bewusstsein gibt uns eben richtiggehend zu denken: Warum sehen wir so, wie wir sehen?
Originalton Markus Landert: «Das Museum ist der Ort, wo wir plötzlich mit Erstaunen feststellen, dass es ja vielleicht ein bisschen komplizierter ist mit dem Gucken.»
Die schräg vis-à-vis hängenden neun Arbeiten (Shade 1 – 9, 2014, Pigmentprint) von Andri Stadler (*1971), die sich im Werk «Prozess des Verschwindens» widerspiegeln und darin von rechts nach links langsam verschwinden ... (siehe Bild oben). Bild: János Stefan Buchwardt
Weiterführende Links zu huber.huber:
https://www.editionpatrickfrey.com/de/books/universen-huberhuber
Weitere Teile der Serie "Neue Kunst in der Kartause"
Teil 1 unserer Serie "Neue Kunst in der Kartause" über das Werk «Terra incognita» von Herbert Kopainig können Sie hier lesen: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3529/
Teil 3: Die bemerkenswerten Bildkompositionen «After Hiroshige» der Arboner Fotografin Esther van der Bie: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3554/
Teil 4: Eine anspielungsreiche Bildtafel von Matthias Bosshart: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3558/
Teil 5: Die Videoarbeit «Astronauten» von Sarah Hugentobler https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3567
Wer über die Ankäufe entscheidet
Die Sammlung des Kunstmuseums Thurgau wächst ständig. Seit 2012 gibt es zusätzlich zum ordentlichen Ankaufsbudget einen Kredit über 100.000 Franken aus dem Lotteriefonds für Ankäufe, über dessen Verwendung eine Kommission entscheidet. Diese setzt sich zusammen aus Katharina Ammann, Abteilungsleiterin beim Schweizerischen Institut für Kunstgeschichte, Alex Hanimann, Künstler, und Hans Jörg Höhener, Präsident der Kulturkommission Thurgau. In der Ausstellung «Neue Kollektion – Die Sammlung wächst» gibt das Kunstmuseum Thurgau noch bis zum 22. April 2018 einen Überblick über die Ankäufe der letzten drei Jahre. Anhand der Ausstellung lässt sich trefflich diskutieren, was denn heute gute und zukunftsträchtige Kunst sei.
Weitere Beiträge von János Stefan Buchwardt
- Verneigung vor Helen Dahm (03.09.2018)
- Ethos des Kreativen (25.06.2018)
- Oper ohne Opernhaus (18.06.2018)
- Von der Brache zum Wunderland (12.06.2018)
- Wanderer zwischen den Welten (05.06.2018)
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- Kritik
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