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von János Stefan Buchwardt, 25.06.2018

Ethos des Kreativen

Ethos des Kreativen
Originalton Markus Zeller: «Das Flechten habe ich nicht erfunden. Das ist etwas, was bis in die Urzeiten der Menschheit zurückreicht. Weide oder Reisig haben mich nie interessiert. Für mich kommt nur Eisendraht in Frage.» | © János Stefan Buchwardt

In einer ehemaligen Schlosskapelle flechtet Markus Zeller Eisen zu überlebensgrossen Plastiken. Die diesjährige Thurgauer Kulturpreisträgerin Judit Villiger stellt ihn – korrespondierend mit anderen Künstlern – in ihrem Steckborner «Haus zur Glocke» aus.

Wo Markus Zeller Hand anlegt, da wird seit 1827 Metall be- und verarbeitet. Mit der Übernahme respektive dem Kauf der Wittenwiler Schmiedewerkstatt hat sich der gelernte Schlosser einen Lebenstraum erfüllen können. «Als ich kam, war es hier leer. Aus meiner vorherigen Schmitte im luzernischen Rain habe ich tonnenweise Material hergezügelt. Von einem Trauma zu sprechen, wäre keineswegs übertrieben.» Nun schreibt der im sankt-gallischen Gossau aufgewachsene Eisenplastiker die wechselvolle Geschichte der verträumt zwischen Murg und Lützelmurg liegenden Arbeitsstätte fort. Und seiner Herzeigewerkstatt – sie liegt nur wenige Minuten von seinem Privathaus entfernt – entspringen mehr als mannshohe Metallformen. Sie gehen durch Kopf und Hand des Künstlers: geflochtene Geometrie; skizziert, geplant, konstruiert und ausgeführt von einem genauigkeitsliebenden Metallmagier.
 
Seine Kunst solle für sich selber sprechen, er nähme sich gern zurück. Eine Vielzahl der imposanten Gebilde steht zurzeit an spektakulärem Ort im Herzen der Unterseegemeinde Steckborn. Wo im Dezember 2015 die Flammen loderten, denen sechs Altstadthäuser zum Opfer fielen, sind nun aufgeräumte mathematische Rauminhalte platziert. Zeller, 1961 in St. Gallen geboren, hat seinen Anteil an der Ausstellung «Körper Rhythmus Zahl» gründlich durchdacht. Eine Symbiose mit der Atmosphäre der Baustelle sei für ihn nicht im Vordergrund gestanden. Eher habe ihn bei der Objektaufstellung die Verbindung zu den teilweise noch sichtbaren Zimmerböden im einstigen Parterre inspiriert. Ob er denn noch gewischt habe, hätte Judit Villiger ihn schelmisch gefragt. «Sicher, den schönen blauen Bodenbelag im Badezimmer habe ich feucht aufgenommen», hätte er spitzbübisch zu kontern gewusst.


Originalton Markus Zeller: «Es entspricht meinem Charakter, dass ich keine Geschichten um mein Werk herum aufbaue.» Foto: János Stefan Buchwardt

Von Expertenseite

Laut Villigers Ausschreibungstext zur Sommerausstellung in Steckborn stehe das Schaffen von Verbindungen aus Linien, Flächen und Punkten im Zentrum. Zellers Exponate im Aussenraum interagieren mit denen anderer Künstlerinnen und Künstler im Innenraum. Profund und präzis spricht das «Haus zur Glocke» von einem Oszillieren der Arbeiten «zwischen dem Zwei- und dem Dreidimensionalen, indem sie einerseits auf Papier und Leinwand imaginäre Räume eröffnen und anderseits im Raum mit Linien und Flächen Volumina zeichnen.» – Von der Logistik her sei das, was seine Werke angeht, ein «ziemlicher Lupf» gewesen, insbesondere der Transport, so Zeller. Dass eine anerkennenswerte «Klein-Galerie» Grossplastiken ausstelle, sei aussergewöhnlich. Für ihre frappante Tatkraft mache er Villiger ein grosses Kompliment. Die Stadtbrache lade jetzt zur künstlerischen Diskussion ein.
 
In der anspruchsvoll gestalteten Publikation zur Ausstellung umschreibt Kathrin Frauenfelder, Kunsthistorikerin aus Zürich, die Wittenwiler Werke wie folgt: «Dass die grossformatigen Plastiken eine eindrückliche Präsenz ausstrahlen, ohne dabei monumental zu wirken, ist auf die spezifische Machart zurückzuführen, da das Eisendrahtgeflecht die Oberfläche nicht nur rhythmisch strukturiert, sondern diese im Gegenlicht durchscheinend wirken lässt und als lineare Zeichnung sichtbar macht.» – Hinter dem, was die Expertinnen in Worte fassen, steht viel handwerkliche Fleissarbeit. Der eigentlich kreative Prozess seiner Anstrengungen sei abgeschlossen, wenn er konkret mit den Verrichtungen per Hand beginne, so Zeller. Dass bei ihm alles ganz genau geplant sein will und muss, nimmt man dem fordernden und sich herausfordernden Künstler gerne ab. «Weil es enorm viel Arbeit gibt, kann ich nicht einfach so etwas ausprobieren», erklärt er. Auch das leuchtet ein.

Originalton Kathrin Frauenfelder: «Für seine neueste Arbeit wählte Markus Zeller ein stehendes Oval, das er zu einem verblüffend vielschichtigen, doppelwandigen, zugleich offenen wie geschlossenen Objekt aufbaute.» (rechts, ohne Titel) | Foto: János Stefan Buchwardt

Vergänglichkeit

Am Schluss habe Markus Zeller jeweils etwas, das bleibt. Und genau das stellt er handkehrum in Frage. Was überdauere da wirklich? Gut, für eine gewisse Zeit werde etwas sichtbar, womit sich andere im besten Fall identifizieren könnten. Genauigkeit und Konzentriertheit im Herstellungsprozess, Exaktheit und Entschlossenheit beim Fertigen der Plastiken zeitigten zwar handfeste Ergebnisse, deren Bestehen aber dennoch gefährdet scheine. «In Stein Gehauenes», so bemerkt Zeller, «ist noch nach tausenden von Jahren lesbar. Nicht so beim Eisen.» Wenn sie draussen stehe, ist seine Kunst einem überschaubaren Zerfallsprozess unterworfen. Nach spätestens siebzig bis achtzig Jahren sei alles verrostet und unwiederbringlich zerstört. Oxidation ist schleichendes Todesurteil. In Küstenregionen der Normandie etwa würde alles noch viel schneller gehen. Zersetzung und Hinschied seien für ihn ohnedies vom ewigen Dunkel bestimmt, sagt der römisch-katholisch geprägte Atheist, der er sei.
 
«Nicht zu viel nach rechts und links schauen, den ureigenen Prozess in Gang setzen und aus dem etwas machen», das würde Zeller einem jungen Künstler mit auf den Weg geben. Er selber habe sich vieles autodidaktisch angeeignet. «Im Nachhinein», stellt er selbstkritisch fest, «würde ich mich um eine bessere Zeichentechnik bemühen.» In einer hoch technisierten Welt, die Chromstahl und Hochglanz liebt, mag sein Schaffen den Menschen wohltuend mit Archaik konfrontieren. Es dürfte vom Sehnen nach etwas erzählen, das nicht mehr zurückholbar ist. – Warum Zeller beim Wort «Inspiration» so gereizt wirkt, ist verwunderlich. Es erklärt sich schliesslich durch ein Klee-Gedicht (siehe unten), aus dem er die letzten Zeilen auswendig zu zitieren weiss. Inspiration sei schnell einmal alles und nichts und könne einem eben auch den Weg verstellen, wenn man sich zu sehr an anderen und am Anderen orientiere. Nur der offene Sinn sei ein unschätzbarer Wert.

Markus Zeller hält es mit einem Gedicht von Paul Klee aus dem Jahr 1906: Dein Kopf ist ein Turm / mit strahlentanzenden Linsen. / Die geübte Hand weiß es oft viel besser / als der Kopf. / O Dichter! / Willst Du den Moder einer Gruft schildern / und gebricht es Dir dabei / an der so nötigen Inspiration, / kauf Dir einen Camembert, / und ab und zu daran riechend, / wirst Du können. | Foto: János Stefan Buchwardt

Diversität

Am östlichen Rand des Dorfes Wittenwil in der politischen Gemeinde Aadorf also lebt ein zurückhaltender Mann, der sein Familienleben mit Frau und zwei Töchtern schätzt und in guter Absprache mit seiner Lebenspartnerin schon über viele Jahre teils als Hausmann fungiert. Eine Künstlerfigur mit grosser Affinität zu Stahl und Eisen, der das Schmieden und Schweissen zur lebensbestimmenden Passion geworden ist. Im Alltag pendelt Markus Zeller zwischen handelsüblichen Drahtrollen und den vereinzelten munteren Elritzenschwärmen im kleinen Bach, der sich durch seinen Garten schlängelt. Und gerne überlässt er es den Betrachtern seiner Kunst, sich interpretativ an elegante Undurchdringlichkeit, geltendes Eingeschlossensein und garstig Brachiales erinnert zu fühlen. Oder wie er, das Friedliche, Abgerundete und in sich ruhende Sein und Wirken daran hervorzukehren.
 
Ein Mann, der sich mit kristallinen Formen auseinandersetzt und seinem starrsinnigen und schneeweissen russischen Schlittenhund, ein Samojede namens Aldan, Herr und Meister ist. Ein Künstler, dem es genügt, einmal an der Werkschau im Thurgau (2013) teilgehabt zu haben, dessen Werke preislich mit fünfstelligen Summen operieren und der, im Unterschied zu seiner eigentlichen Kunst, bei quasi kompensatorischen Schlosserarbeiten problemlos Kompromisse eingehen kann. Ein Eidgenosse, der im Ausland schnell einmal von der «Schweizerkrankheit», also vom Heimweh befallen werden würde, obwohl Heimat für ihn überall da liegen kann, wo sein Atelier ist. Ein Zeitgenosse, der sich seine Ausstellungen aussucht und seine Werke allein der Orientierung wegen wie folgt benennt: Im Quadrat geflochtene Säule, Raum für toten Körper, Zylinder/Säule mit dynamischer/labiler Statik oder Schöpferbrunnen ...

Originalton Markus Zeller: «Dass ich praktisch keine Schlosserarbeiten aus der nahen Region habe, scheint mir direkte Folge meiner künstlerischen Tätigkeit zu sein. Das ist schade, aber ich kann es nicht umkehren. Regelmässige Stammtisch-Besuche und ‹Znüni-Pausen› würden mir vielleicht Zugang zu den lokalen Gewerbekreisen schaffen, liegen für mich aber nicht drin.»| Foto: János Stefan Buchwardt 


Der Hin- und Rücktransport der Exponate bedarf grosser Sorgfalt und kann nur mit einem gutem Quantum Konzentriertheit über die Bühne gebracht werden.| Videostill: Christoph Ullmann

Originalton Markus Zeller: «Mit dem Flechten angefangen habe ich erst 1996 in Wittenwil. Zuvor in Luzern sahen die frühen geschmiedeten Sachen noch ganz anders aus.»| Foto: János Stefan Buchwardt 

Link-Tipp: Eine Arbeit von Markus Zeller steht auch am Kulturweg LImmat, Baden-Wettingen-Neuenhof
 
 

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