Den Kopf öffnen
Wird ein Künstler mit einem Preis gewürdigt ist dies eine Wertschätzung seiner Arbeit und steigert seine Sichtbarkeit. Für den Züricher Künstler Cédric Eisenring war 2017 ein preisgekröntes Jahr. Mit der Auszeichnung des Swiss Art Award und dem Manor Kunstpreis, der ihm im Januar 2018 eine Einzelausstellung im Aargauer Kunsthaus ermöglicht, ist seine konstante und intelligente künstlerische Praxis ausgezeichnet worden. Nun hat er eine Ausstellung in der Galerie Kirchgasse in Steckborn eröffnet, die neue Arbeiten zeigt. Eine gute Gelegenheit für einen Besuch.
Betritt man die Galerie in der namensgebenden Kirchgasse fällt auf, dass sich der Galerieraum völlig verändert hat. Aus dem vormals grossen quadratischen Raum ist mit Hilfe von neuen Wänden eine Verkleinerung vorgenommen worden. In den Wänden sind Arbeiten eingelassen, die mit ihrem farbigen Leuchten unweigerlich – vielleicht auch durch die Nähe zum sakralen Bau hervorgerufen - erstmal an Kirchenfenster erinnern. Diese Objekte, die auf den ersten Blick wie Bilder an den Wänden aussehen, entpuppen sich als Türen, die man öffnen und durch die man hindurchgehen kann, um zu weiteren schmalen Zwischenräumen zu gelangen. Hier zeigt sich Cédric Eisenrings Fähigkeit mit Raum zu spielen, ihn sich anzueignen und zu verändern, damit er neu entdeckt werden kann. In seiner raumgreifenden Intervention nimmt er den Galerieraum auseinander und baut ihn für seine Bedürfnisse wieder neu zusammen, fügt ihm Erzählstränge hinzu und zeigt das Kunst sich nicht immer an der Realität abarbeiten muss.
Räumliche Collagen erzählen Geschichten
Die Malerei, die sich Schicht um Schicht auf dem gehärteten Epoxidharz der Türen befindet, erscheint erst abstrakt, folgt man aber der Form und der Umrisslinie an der Wand erkennt man, dass es sich um einen Kopf handelt. Als Inspirationsquelle seiner Themen liegen immer wieder Märchen, Geschichten sowie Comics zugrunde. Bei den Köpfen im Konkreten der Comic „Lock and Key“. Kaum hat der Künstler selbst die Referenz ausgesprochen erwidert Cédric gleich „Die konkrete Vorlage ist unwichtig“. In der Tat abstrahiert er den malerischen Prozess so stark, dass man sich sehr konzentrieren muss, das Figurative zu erkennen. Ihm geht es ausserdem nicht um die konkrete Referenz, sondern er nutzt diese wie Bausteine für seine eigene Welt – baut eine Art räumliche Collage daraus. Die Köpfe werden zu einer Metapher, die den Besucher beim Öffnen und Hindurchgehen in eine tiefere Bedeutungsebene führen – in die Phantasiewelt im Kopf des Künstlers, wenn man so möchte. Je grösser die Bereitschaft ist, sich auf die Ausstellung und ihre Geschichten einzulassen, desto mehr entdeckt man. Es gibt immer wieder Überraschungsmomente. Geht man durch die Kopftüre hindurch, ist der Blick plötzlich frei zu einem Pfosten des alten Fachwerkhauses aus dem 16. Jahrhundert – für einen kurzen Augenblick treffen sich die Gegenwart der Ausstellung und das Historische des alten Hauses und werden neu inszeniert.
Spiel mit dem Raum: Cedric Eisenrings Kunst korrespondiert auch mit den alten Balken der Galerie Kirchgasse. Bild: Leo Lencses
Das Erzählerische ist ein wichtiger Punkt in den Arbeiten des Künstlers: Er möchte Architektur, Materialien und Geschichten zu neuen Welten verbinden. Ein Eindruck, der sich subtil durchzieht und bereits bei dem Blick auf die Einladungskarte beginnt. In Spiralform steht dort rätselhaft geschrieben: „Denn das – so scheint es – ist das Leben der körperlosen Geschöpfe jener Welt, die ein Schatten unserer Welt ist. Ewig liegen sie auf der Lauer nach einem Weg in einen sterblichen Körper – um sich in ihn zu stürzen – als Figuren, als Wahnwitziggebilde, als leidenschaftliche Begierden und tolle, seltsame Lüste, selig in dem Körper, den sie erwischt haben.“ Es handelt sich hier um einen Auszug aus dem Kapitel „Der gestohlene Köper“ aus „Der gestohlene Bazillus und andere Geschichten“ von Herbert George Wells. Dieser gilt als Pionier der Science-Fiction-Literatur, ein Genre, das dafür bekannt ist eigene Welten zu schaffen und Experimente zu wagen.
Herausfordernd, aber lohnend
Man muss sich als Besucher auf Ausstellungen wie die von Cédric Eisenring einlassen, weil es Kunst ist, die in sich ruht und nicht auf äussere Umstände reagiert. Sie schult die Beobachtungsfähigkeit; lässt den Betrachter aktiv werden durch Momente des Zeigens und Verbergens und spielt damit, dass man als Betrachter selbst Teil einer Erzählung wird. Es handelt sich hier um keine Ausstellung, bei der man sich nur auf seinen Sehsinn verlassen kann, sondern die Ausstellung ist gerade deswegen aufregend, weil man den Dialog zwischen Materialien, Raum und der Phantasiewelt aktiv erleben kann. In Zeiten in denen Kunst häufig auf politische Diskurse reagiert, ist die Ausstellung von Cédric Eisenring ein fokussierte Blick in die Innenwelt der Kunst, wo Räume und das Phantastische sich treffen und uns Einblick in den Kopf des Künstlers gewähren.
Cédric Eisenring (*1983, lebt und arbeitet in Zürich) absolvierte 2014 seinen Master in Fine Arts an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Die Ausstellung in der Galerie Kirchgasse wurde von Leo Lencses kuratiert und ist noch bis zum 18. Januar 2018 zu sehen. Knapp eine Woche später eröffnet er am 26. Januar 2018 seine Einzelausstellung im Aargauer Kunsthaus.
Der Künstler himself: Cedric Eisenring. Bild: Bundesamt für Kultur
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