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von Philipp Bürkler, 30.05.2018

In der Nische zu Hause

In der Nische zu Hause
Beat Keller mit Oliver Roth als Rough Cave während eines Auftritts in Berlin, 2018 | © Philipp Bürkler

Der Weinfelder Beat Keller ist Noise-Musiker. Er spielt mit einer Feedbacker-Gitarre, einem weltweiten Unikat, experimentelle Musik. Jetzt erhält er dafür einen mit 25.000 Franken dotierten Förderbeitrag des Kantons Thurgau.

Es knackt und brummt, piepst und quietscht, rauscht und blubbert. Ab und zu wird es laut und dramatisch, dann wieder leise und sinnlich. Beat Keller performt Anfang April zusammen mit dem St. Galler Musiker Oliver Roth auf der Bühne im Spektrum Berlin, einem kleinen Club für experimentelle Musik und digitale Kultur. Keller spielt mit seiner Feedbacker-Gitarre, Roth bedient seinen modularen Analog-Sythesizer. Unter dem Namen Rough Cave spielt das Duo experimentellen Sound, bei dem alles aus dem Hier und Jetzt heraus entsteht. Jedes Konzert der beiden klingt wieder anders, weil für ihre Musik weder Noten noch eine exakte Dramaturgie existieren.

Mit diesem Duo sowie mit anderen Projekten bewegt sich Keller musikalisch im Musikgenre Noise. Das ist eine Musikrichtung, fernab des Mainstreams. Noise bedeutet im Englischen Geräusch, Lärm oder Krach, wobei die Bezeichnung Geräusch am ehesten zutrifft.
 
Beat Keller mit seinem Unikat, der Feedbacker Electric Guitar

Beat Keller mit seinem Unikat, der Feedbacker Electric Guitar. Bild: Philipp Bürkler

Noise-Musiker entlocken ihren Instrumenten geräuschartige Klänge, die in der konventionellen Pop- oder Rock-Musik nicht vorkommen oder sogar als störend empfunden würden. Da kann ein Synthesizer wie ein Hammer klingen, eine Harfe wie eine Säge oder eine Gitarre wie ein brummender Motor. In den Ohren von Laien klingt Noise oft so, als ob jemand zufällig und völlig unmusikalisch und talentfrei ein Instrument geradezu missbraucht. Dabei ist das genaue Gegenteil der Fall. Oft sind Noiser Profis, so wie Beat Keller.

Eigene Sound-Ästhetik

Seit 2014 arbeitet Keller vor allem mit einer sogenannten Feedbacker-Gitarre, mit der Klänge noch verzerrter erzeugt werden können als mit einer gewöhnlichen E-Gitarre. Gebaut wurde das Unikat vom norwegischen Künstler Christian Blandhoel. Der in Oslo lebende Musiker hat in den letzten Jahren bereits mehrere unterschiedliche Modelle entworfen. «Christian kauft sich auf dem Flohmarkt alte E-Gitarren und schlachtet diese aus und baut sie nach seinen Vorstellungen um», sagt Keller.

Dort wo beim Gitarrespielen die Saiten mit der Hand angeschlagen werden, baut Blandhoel einen kleinen Lautsprecher direkt unter die Saiten ein. Im Gegensatz zu einer gewöhnlichen E-Gitarre ertönt der Sound nicht nur über einen externen Verstärker, sondern kann auch über den kleinen eingebauten Lautsprecher gespielt werden. Dadurch werden die Saiten in Schwingungen versetzt, die ein einzigartiges Feedback erzeugen. Eine Sound-Ästhetik, die mit normalen Gitarren nicht möglich ist.

«Diese Rohheit und Vielseitigkeit, dieser direkte durch das Feedback erzeugte Klang, haben eine wahnsinnige Anziehungskraft», erklärt der in Winterthur wohnhafte Keller die Faszination. Neben dem verzerrten und lauten Sound, sind mit diesem Instrument auch leise, wohlklingende und unverzerrte Klänge möglich.
 
Hörprobe 1: So klingt das Noise-Duo Rough Cave
 Feedbacker-Gitarre und analoger Mudular-Sythesizer. Bild: Philipp Bürkler

Weltweit einzigartig

Erstmals begegnet sind sich Keller und Blandhoel 2014 in Oslo. Keller tourte damals mit zwei Musikerfreunden durch Norwegen. «Nach dem Konzert kam ein riesiger Typ auf uns zu», beschreibt Keller die erste Begegnung. Blandhoel habe ihm und seinen Kumpels eine dieser eigenartigen Gitarren mit einem eingebauten Lautsprecher gezeigt.

Die drei Musiker wollten mehr erfahren: Bereits am nächsten Tag sind sie zu Blandhoels Werkstatt gefahren. «Dort standen etwa zwölf unterschiedliche Feedbacker-Gitarren und wir konnten alle ausprobieren. Ich war sofort von den Möglichkeiten fasziniert.»  Die Faszination war so gross, dass Blandhoel Keller eine Gitarre anfertigte und ihm diese zu einem Freundschaftspreis in die Schweiz schickte. «Alle Feedbacker-Gitarren von Blandhoel sind Einzelstücke, auch meine.» Die Gitarren sehen so aus wie sie klingen, roh und punkig.

Vor der Begegnung mit Blandhoel hat Keller noch nie eine Feedbacker-Gitarre gesehen und auch noch nie davon gehört, dass es so etwas überhaupt gibt. «Blandhoel ist meines Wissens der einzige weltweit, der solche Geräte baut.» Und Keller ist wohl der einzige Musiker weit und breit, der ein solches Instrument besitzt.
 
Video: Trio Ciao Keller Siedl, Beat Keller, Cao Than Lan und Gregor Siedl


 
Weiterentwicklung und Verfeinerung

Die Feedback-Technik ist jedoch alles andere als neu. «Jimmi Hendrix hat bereits in den Sechzigerjahren regelrechte Feedback-Orgien veranstaltet», schwärmt Keller, der auch Sound-Projekte in den Bereichen Rock, Jazz und Zeitgenössischer Klassik realisiert. Hendrix hatte jedoch keine Feedbacker-Gitarre, sondern stand mit seiner elektrischen Gitarre direkt und nahe vor dem Verstärker, den er extrem laut aufdrehte. «Durch die Lautstärke erzeugte er ein Feedback, da die Saiten nicht aufhörten zu schwingen, weil sie immer wieder vom Schall aus dem Verstärker angekickt wurden.» 

Mit einem Teil des Preisgeldes aus seinem Förderbeitrag des Kantons Thurgau will Keller in den kommenden Monaten einige Male nach Oslo fliegen, um mit Blandhoel über eine mögliche Erweiterung des Instruments zu sprechen. In den letzten vier Jahren, seit Keller mit der Gitarre experimentiert, habe sich gezeigt, wo das Potenzial für das Zusammenspiel mit anderen Musikern liege. «Ich habe eine Liste mit Verbesserungsvorschlägen und möchte von ihm erfahren, was überhaupt umsetzbar ist.» Bisher setzt Keller das Instrument nur in Kleinbesetzungen wie Duos und Trios ein. «Das Ziel ist es, die Feedbacker auch in grösseren Ensembles einzusetzen.»
 
Hörprobe 2: Bowee/Keller, Beat Keller, E-Gitarre und Philipp Bowee


 
Ausserdem will Keller, der bereits seit seinem zwölften Lebensjahr Gitarre spielt, in den kommenden Monaten mit der einen oder anderen Koryphäe aus der experimentellen Noise-Szene Kontakt aufnehmen. «Ich habe schon ein paar meiner Lieblingsmusiker im Kopf, von denen ich gerne wüsste, was sie von meiner Feedback-Technik halten, spruchreif ist aber noch nichts.» 

Kellers Musik ist und bleibt Nische. Seine Konzerte werden vor allem von Szene-Insidern und Noise-Liebhaberinnen besucht. Im Gegensatz zu Hip Hop, Rock oder Pop ist die Szene verhältnismässig klein. In den grösseren Schweizer Städten gebe es zwar einige Noiser, das kreative Zentrum in Europa für solche Musik sei jedoch in Berlin zu finden. «Die Stadt wurde zu einem Anziehungspunkt für Experimentelle Musik in den letzten 20 Jahren.» Das ist der Hauptgrund, weshalb Keller regelmässig in Berlin anzutreffen ist.
 
Dass er einen der insgesamt sechs Thurgauer Förderbeiträge 2018 erhält, hat er im April kurz vor Abflug nach Berlin erfahren.
  

Die Förderbeiträge und die Serie

Die Förderbeiträge: Es werden pro Jahr maximal sechs Förderbeiträge zu Fr. 25 000.– an Thurgauer Kulturschaffende vergeben. Die Förderbeiträge sind als Kunststipendien für die künstlerische Weiterentwicklung bestimmt und sollen nicht primär für die Realisierung von Kunstprojekten eingesetzt werden. Die Übergabe der Förderbeiträge findet im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung am Donnerstag, 31. Mai 2018, um 19 Uhr im Kino Roxy in Romanshorn statt.

 

Die Serie: In einer Serie stellen wir alle sechs Begünstigten der diesjährigen Kulturförderbeiträge vor. Neben Beat Keller sind dies: Micha Stuhlmann, Performerin, Kreuzlingen; Felix Brenner, bildende Künstlerin, Altnau; Sarah Hugentobler, bildende Künstlerin, Bern; Vincent Scarth, bildender Künstler, Zürich; Olga Titus, bildende Künstlerin, Winterthur. Die Medienmitteilung zur Vergabe der Förderbeiträge gibt es hier http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3557   

 

Teil 1 der Serie über Micha Stuhlmann: Zum zweiten Mal erhält die Performerin Micha Stuhlmann einen Kulturförderbeitrag des Kantons. Mit ihrem «Laboratorium für Artenschutz» will sie der Kunst und dem Leben näher kommen: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3595

 

Teil 2 der Serie über Felix Brenner: Der bildende Künstler Felix Brenner ist einer der sechs Preisträger des Förderpreises für Kulturschaffende des Kantons Thurgau. Thurgaukultur traf ihn in seinem Zuhause in Altnau: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3596/ 

 

Teil 3 der Serie über Sarah Hugentobler: Zeitgeistig und ein bisschen unheimlich: Sarah Hugentobler hält ihr Publikum in Atem. https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3617    

 

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