Ittinger Pfingstkonzerte: Steger (ba)rockt die Kartause
Frischer Ostwind an den Ittinger Pfingstkonzerten: Maurice Steger, der diesjährige künstlerische Leiter überzeugte mit einem bravourösen Programm. Östliche und fernöstliche Klänge von Barock bis zur Gegenwart erfreuten am vergangenen Wochenende viele Zuhörende, die zudem mit Feinsinn, Witz und Charme bestens unterhalten wurden. thurgaukultur.ch lauschte zwei Konzerten des klug durchdachten Programms.
Denn er weiss was er tut: Als inspirierter, inspirierender Musiker foutiert sich Maurice Steger seit Jahren um das sich hartnäckig haltende Klischee, Blockflöten seien langweilig - und die damit verbundenen Kompositionen schön, aber schön verstaubt. Schubladen sind nicht sein Ding, Steger überwindet lustvoll die Gräben, die auch in der so genannten Klassikszene bis anhin gerne gezogen wurden. Die nach dem 2. Weltkrieg aufkommende historische Aufführungspraxis setzte sich bewusst ab von der spätromantischen Klangsprache, mit der auch vor 1800 entstandene Werke lange einheitlich „niedergebügelt“ wurden. Die so genannt „Alte Musik“stand darum lange in Opposition zur Romantik. Steger schnitt am vergangenen Pfingstwochenende diesen Klischeezopf ab und bewirkte in der Kartause Ittingen eine Art „Familienzusammenführung“, indem er in vier Konzerten romantische Werke programmierte. Das tat sehr gut, weil die Zusammenhänge hörbar wurden. Musik ist Gefühl mit Ton. Und das in jeder Epoche.
Auftritt der Tastenzauberer
Warum kleckern, wenn klotzen spannender ist: Am Samstagnachmittag standen sieben Tasteninstrumente in der Remise, vom einmanualigen Cembalo aus dem frühen 17. Jahrhundert über eine Truhenorgel des frühen 18. Jahrhunderts, bis zum Fortepiano, dem Vorläufer des heutigen Konzertflügels. Das war ein kostspieliges Rencontre für den Konzertveranstalter, aber es lohnte sich. Die Cembalisten Sebastian Wienand und der Thurgauer Johannes Keller zauberten ein rauschendes Klangfest in den Saal und begeisterten die Zuhörenden mit Sweelincks Fantasia in C, Johann Sebastian Bachs Doppelkonzert in C-Dur und einem berührenden Adagio aus Mozarts Sonate in c-moll, das hörbar machte, wie die musikalische Empfindung sich mit der Weiterentwicklung im Instrumentenbau verändern konnte.
Tasteninstrumente als musikalische Zeitzeugen: Rechts das barocke Bach-Cembalo links das Fortepiano (Hammerflügel), das durch seine dynamischen Möglichkeiten die Klassik und Romantik prägte. Bild: Barbara Camenzind
Das Fortepiano hat eine romantische Seele. Klangvoll und frechdachsig wurden die beiden Musiker vom La Cetra Barockorchester Basel begleitet, deren lausbübische Lautenisten bei Händels Orgelkonzert „The Cuckoo and the Nightingale“begeistert den Solisten im Vogelfang unterstützten. Wo zum Kuckuck versteckte sich die Nachtigall? Als Tüpfchen auf dem I erklang das zum Schluss gespielte Konzert für Cembalo und Hammerflügel von Carl Philipp Emanuel Bach, in dem sich das Klavier und Cembalo in einer Art Gespräch zwischen Vater und Sohn begegneten. Von der alten Pracht zur warmen Klangfarbe: Sie hätten noch stundenlang weiterspielen können.
Der rote Faden
Der Raum verändert Musik. Mit dieser alten Musikerweisheit wurde das 2011 geschriebene Werk „Nacht-Schlaf“des Japaners Toshio Hosokawa in Ittingen ins Spiel gebracht. Erst am Sonntagnachmittag in der Remise, dann am Abend in der Kirche, wo es bestimmt ganz anders klang. „Nacht -Schlaf“wurde als eine Art Paraphrase auf Antonio Vivaldis Konzerte konzipiert. Das Barockorchester La Cetra agierte in diesem zeitlos schön wirkenden Stück Musik zusammen mit dem Sprecher Stephan Mester, der zu den Saitenklängen und Wassergeplätscher Haikus rezitierte. Danach ging die Reise jedoch nicht in die Lagunenstadt, sondern zu Smetana nach Prag. Das Pavel Haas Quartett schien diese Musik mit der Muttermilch aufgesogen zu haben. Brillant, schwärmerisch und glasklar erlebten die Zuhörenden, wie sich aus dem klassischen Musikschaffen für einen Fürsten, im 19. Jahrhundert die so genannten Nationalstile entwickelten.
Mit königlichen Klängen - so der Titel dieses Sonntagnachmittagskonzerts - ging es nach der Pause mit Georg Friedrich Händel weiter. Der in England lebende Sachse wurde „Master of Tunes“genannt. Unter der Leitung von Maurice Steger setzte La Cetra seinen Melodien die Krönung auf. Beseelt durch das spanische Flair und mit gekonnten Tempowechseln tanzten sie durch die Suite aus „Almira, Königin von Kastilien“. Einen kleinen zauberhaften Ausflug in die schier unendliche Welt der Oper bescherte die Sängerin Nuria Rial ihrem Publikum, mit einer Arie aus Lotario und dem berühmten„Piangerò“aus „Giulio Cesare“. Den Opernfans im Publikum mag die Darbietung vielleicht etwas zu kleinteilig und kammermusikalisch gewesen sein. Leider - oder zum Glück - gibt es keine Tonträger aus der Zeit Händels. Darum ist die so genannt historische Aufführungspraxis auch nur ein Näherungswert im Spiegel der Gegenwart. Eine Chance für Alte Musik, immer wieder neu zu erklingen. Zum Schluss daher ein kollegiales Kompliment an den Autor Andreas Schlegel für sein Programmheft. Er nahm in seinen Texten diesen Umstand genau unter die Lupe und lieferte zudem bodenständiges Fachwissen rund um Instrumente und ihre Zeit.
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