Musik, so ungefähr
Das Thurgauer Kammerorchester lud am vergangenen Sonntag zum Mittagskonzert in die Kartause Ittingen. Vier Konzerte des venezianischen Barockmeisters Antonio Vivaldi, Schostakowitschs Kammersymphonie und Astor Piazolla wurden gegeben. Ein vielversprechendes Programm, das leider hinter den Erwartungen zurückblieb.
Das Thurgauer Kammerorchester (TKO) wirbt auf seiner Homepage für seinen Schwerpunkt in Sachen Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Das ist sehr lobenswert in der musikalischen Postmoderne, die selbst Schönberg und Webern noch reichlich anstrengend findet. Um so spannender, dass genau dieser aus Berufsmusikern bestehende Klangkörper mit Antonio Vivaldi in Ittingen seine Aufwartung machte. „L’Estro Armonico“, „Il Giardinello“, „La Notte“ und das berühmte „La Tempesta di Mare“ sind beste barocke Gebrauchskonzerte, die vielfach adaptiert sogar in der Popmusik Einzug hielten.
Seit etwa gut 40 Jahren bemühen sich Spezialistinnen und Spezialisten um die zeitgemässe Klangrede, mit der sich der „Prete Rosso- der rote Priester“ genannte Vivaldi herumschlug. Es muss nicht zwingend eine Theorbe im Orchester sitzen - und die Flöte muss nicht zwingend eine Blockflöte sein. Und ja, selbstverständlich darf Vivaldi im modernen Kammerton 442 gespielt werden. Die Musik gehört denen, die sie aufführen. Doch auch dann braucht es einen Plan.
So etwas wie einen Plan konnte man nicht erkennen
Und der wurde gestern schmerzlich vermisst. Wie eben auch das Cembalo. Denn es ist doch sehr eigentümlich, wenn grundlegende stilistische Eigenheiten einer musikalischen Epoche einfach niedergebügelt werden, als wäre „Musik als Klangrede“ von Nikolaus Harnoncourt nie veröffentlicht worden. Der Streicherklang des TKO war solide, aber ohne den federnden Duktus, den Vivaldi verlangt. Die Soli in den Geigen tadellos - aber tadellos einfarbig. Giuseppe Nova an der grossen Flöte überraschte durch zierliche Kadenzen - die Intonation mit dem Orchester war eher ein Näherungswert. Schade - da hätte das Cembalo geholfen.
Versöhnlicher Schostakowitsch
Konzertmeister Mateusz Szczepkowski kennt seinen Komponisten Schostakowitsch. Das hat nach der Pause unendlich gut getan. Auch Dirigent Claude Villaret gewann der Kammersinfonie des sowjetischen Tonsetzers mehr Gestalt ab, als dem Venezianer. Schwungvoll, sanglich und sehr abgründig manövrierte sich das TKO durch die schönschrägen Passagen. Salonmusik vom feinsten. Die drei Stücke "Fuga y Misterio", "Oblivion", "Libertango" von Astor Piazolla waren ohne Zweifel die Publikumslieblinge - aber auch hier hätte man sie mehr Mut zur differnzierten Gestaltung gewünscht. Vielleicht hätte es gut getan, Vivaldi mehr Tango zu gönnen - oder dem Tango mehr Licht und Schatten, wie sie der Barockmusik eigen ist. Es war ein Konzert mit Näherungswerten. Mit einem Orchester, das viel Luft nach oben hat. Bleiben wir gespannt.
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