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von , 16.08.2018

Das Kostbarste ist die Zeit

Das Kostbarste ist die Zeit
Ja kein Schnitt zuviel: Tetjana Albitska arbeitet an ihrer Sphinx aus Sand | © Barbara Camenzind

Auf Sand gebaut, sandiges Vergnügen: Nach 20 Jahren Sandskulpturenfestival Rorschach reihen sich die aufgebrauchten Titel zu den abgelegten Klischees. Schon lange hat sich die Szene vom XXL-Burgenbauern zu einem ernstzunehmenden Zweig der bildendenden Kunst gemausert. Internationale Künstlerteams reisen dafür um die ganze Welt und wohnen seit letztem Freitag für 10 Tage in der verträumten Hafenstadt am Bodensee. thurgaukultur.ch besuchte die Nachbarn - und lernte.


Schaltafeln, 20 bis 30 Tonnen Fluss-Sand und all you need is love. Dazu strenge Zeitvorgaben und eine ruhige Hand. Sandskulpturen gestalten hat etwa so viel mit Sändelen am Meer zu tun, wie Dressurreiten mit einer Ponyhof-App. Sand ist nicht gleich Sand. Das ukrainische Künstlerteam Albitska Tetjana  und Kostomarov Sergej sind dieses Jahr das erste Mal dabei. Sie studierten monumentale Bildhauerei an der Kunsthochschule in Kiev und betreiben ein Skulpturen-Atelier für Gartengestaltung und Architektur. 20-30 Tonnen Sand müssen sie in die Höhe stemmen um, gross zu denken: Kein Problem für die beiden Profis. Es sei wunderbar, mit dem Material zu arbeiten, das sich in etwa ähnlich verhalte, wie Zement, erzählt Tetjana.

Junger Fluss-Sand hat keine abgerundeten Körner, wie Meersand, reagiert also auf Druck und bleibt in Form. Ist die Skulptur fertig, wird sie noch leicht oberflächenbehandelt. So hält sie etwa zwei Monate. Wie es der Künstlerin damit gehe, dass ihr Werk vergänglich sei: Sie lächelt und meint, das sei eigentlich ja noch schön. Dann bliebe die Erinnerung. Dies schlägt den Bogen zu einer anderen Kunst, die vor der Konservierung sehr vergänglich war: Die Musik. Tatsächlich „komponieren“ die 10 Künstlerteams auf der Arionwiese ihre Werke zum Thema „All You Need Is Love“. Sie müssen erst der Sandhaufen mittels Schaltafeln zusammenfügen (composere). Dann können sie nur noch wegschneiden. „Und improvisieren, wenn etwas schief geht“, sagt Tetjana, bevor sie wieder mit scharfem Auge an ihrer schon deutlich erkennbaren Sphinx arbeitet.

Die Speedcarving-Plätze vor dem Springbrunnen warten auf die schnellsten Sandkünstler. Foto: Barbara Camenzind

Szene im Wandel

„Während früher wirklich Sandburgenritter zu uns nach Rorschach kamen, sind es heute bildende Künstler, die sich auf diese Wettbewerbe spezialisierten.“ So beschreibt Mario Pesendorfer, langjähriges Mitglied des Sandskulpturen-OK’s die Entwicklung. „Natürlich ist das Start -und Preisgeld für die Teams interessant. Wir möchten ja, dass sie einen Lohn für ihre Arbeit bekommen. Rorschach sei sehr gefragt in der Szene, weil die familiäre Atmosphäre, die fairen Arbeitsbedingungen und die guten Unterkunftsmöglichkeiten für sich sprächen. Nach zwei Tagen Grundaufbau wird jeweils am Montag eine Pause eingelegt und ein Programm in der Region besucht. Dieses Jahr war es Bad RagARTz. Mit einem Massagetisch, gutem Essen und Ausruhmöglichkeiten auf der Arionwiese werden die Teams zusätzlich unterstützt. Die Helferinnen und Helfer agieren nahe an den Künstlern. Sand ist ein anstrengender Werkstoff. Wie schon geschrieben: Es kann nichts mehr dazugefügt, nur noch weggeschnitten werden.

Was lokal in den letzten Jahren immer wieder für Diskussionen sorgte: Ab Morgen Donnerstag wird auf der Arionwiese vor dem Springbrunnen Eintritt verlangt. Das hat mehrere Gründe: Erstens  war die Koexistenz von öffentlichem Raum und filigraner Sandkunst in Arbeit etwas schwierig. Schon ein Hund, der die Skulptur mit einem Baum verwechselte, kann Schaden anrichten. Zudem möchten die Veranstalter den Teams ein rechtes Start-und Preisgeld bezahlen können.

Alles braucht seine Zeit

Das Festival bietet jedoch viel - für Passanten wie Besucher: Einen gratis Maxi-Sändelihaufen für kleine und kleinste Künstler, entspannte Atmosphäre und den Lehrblätz, dass alles seine Zeit braucht. Pesendorfer sagt dazu: Es gebe immer wieder Besucher, die schon am ersten Aufbautag riefen: „Me gseht jo no gar nüt.“  Skulpturenbau ist nicht Instagram, das Kostbarste was dazu benötigt wird, ist die Zeit. In der Tat. Die Zeit ist ein sonderbar Ding, frei nach Hoffmannsthal - oder Festivalleiter Urs Koller. Der Rorschacher und künstlerische Kopf des sandigen Spektakels war bei unserem Besuch unauffindbar. So bleibt es ein Geheimnis, welches Jury-Trio am Sonntag werten wird, wie er das diesjährige Thema „All You Need ist Love“ auswählte, und wie die Teams für Rorschach eingeladen werden. Unsere Empfehlung: Besuchen Sie das 20. Sandskulpturenfestival in Rorschach. Lassen Sie sich verzaubern, stimmen sie mit beim Publikumspreis. Vielleicht finden Sie heraus, was wir noch wissen wollten. Ein Besuch lohnt sich allemal.

Präzision und Mut begleiten die Sandkünstler in Rorschach. Team: Karlis Ile / Maija Puncule/ Lettland
Video: Barbara Camenzind

www.sandskulpturen.ch

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