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von Brigitte Elsner-Heller, 20.08.2018

„Mein ist die Rache, redet Gott“

„Mein ist die Rache, redet Gott“
Szene mit allen Beteiligten SchauspielerInnen: Adele Raes, Giuseppe Spina, Joe Fenner und Silvana Peterelli (von links nach rechts). | © Eliane Munz

Theater unter freiem Himmel: „Am Hang“ nach dem Roman von Markus Werner hatte im Greuterhof Islikon Premiere. Eine erstaunlich stimmige Adaption für die Bühne.

„Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm. Der Donner rollt.“ Das Wetter hat sich soeben beruhigt, scheint der Premiere im Greuterhof Islikon (Produktion: Theaterwerkstatt Gleis 5) nun nicht mehr im Weg zu stehen. Und doch wirken die Verse der historischen Ballade von Conrad Ferdinand Meyer jetzt sehr unmittelbar. Noce Nosedas Inszenierung von Markus Werners Roman „Am Hang“ setzt mit der Ballade „Die Füsse im Feuer“ ein, jener Dichtung über die grausame Tat eines Königstreuen im Hugenottenkrieg. Dieser kommt während eines Unwetters in der Burg des Mannes unter, dessen Frau er auf dem Gewissen hat. Er wird sich dieser Tatsache bewusst, bangt um sein Leben. Der Burgherr, wiewohl ergraut über dem schicksalhaften Zusammentreffen, lässt den Mörder jedoch mit den Worten ziehen: „Mein ist die Rache, redet Gott“.

Der Rahmen wird abgesteckt

Markus Werner verschafft seinem Landsmann aus dem 19. Jahrhundert in seinem letzten Roman von 2004 zwar nur einen wie beiläufig wirkenden Auftritt, doch handelt es sich durchaus um eine der Schlüsselszenen des Textes. Denn auch hier begegnen sich – wohl nicht zufällig – zwei Männer, die durch eine Frau verbunden sind. Was sich im Roman als kaum je pausierender Text liest, als vom jüngeren der beiden verfasster „Dialog“, der sich über weite Strecken der indirekten Rede befleissigt (und sich dadurch wie ein langer Monolog des Autors Werner liest), wird in der Theaterfassung wohltuend aufgebrochen. Zudem wird durch die Ballade, die Joe Fenner eingangs deklamiert (er wird den älteren der beiden Männer spielen) für das Publikum der Rahmen abgesteckt: Achtung! Hier geht es um mehr als nette (Herren-) Abende im Tessin bei Merlot bianco!


Mehr als nur ein netter Männerabend: Giuseppe Spina spielt den Scheidungsanwalt Clarin, Joe Fenner den „Felix“. Bild: Eliane Munz

Giuseppe Spina ist nun der junge Scheidungsanwalt, ein Mittdreissiger mit einigem Selbstvertrauen. Über Pfingsten will er ein verlängertes Wochenende in seinem Haus am Hang im Tessin verbringen – um zu arbeiten. Um einen Fachaufsatz zum Scheidungsrecht zu schreiben. Dass er am selben Ort, nämlich in der Gegend um Montagnola, wo Hermann Hesse seine saturierten/reifen Jahre verbrachte, durchaus auch schon anderen Beschäftigungen nachgegangen ist, wird sich im Lauf des Theaterabends, der drei Abende mit dem Herrn reiferen Alters umfasst, herausschälen.

Ein ungleiches Paar

Doch noch sitzt dieser ältere Herr, der irgendwann dann Felix heissen wird (ohne jedoch im mindesten glücklich zu sein), auf der Terrasse des Hotels Bellevue. Joe Fenner gibt einen schweigsamen Kautz, der sich für kaum mehr als sein Abendessen zu interessieren scheint, als der Anwalt Thomas Clarin sich an seinen Tisch setzt. Die Inszenierung setzt farbig und mit einiger Bewegung ein, denn Silvana Peterelli und Adele Raes, denen später in den diversen Rückblicken der Herren wesentliche Rollen zukommen werden, sind vorerst zwei muntere Bedienungen, die etwas vom Dolce Vita verstehen und lautstark die Bestellungen auf italienisch an die Küche weitergeben. Das Publikum nimmt es heiter auf. Und noch liegt ja alles offen da.

Das mühsam sich entwickelnde Gespräch zwischen dem Anwalt und dem älteren Herrn nimmt Fahrt auf in dem Mass, in dem der Merlot zusehends die Adern durchspült. Joe Fenners Annäherung an seine Rolle reicht bis in die Sprache, die sich bei ihm in raue Laute kleidet, so, als wolle dieser Felix in allem widersprechen, was im Leben einfach sein oder einfach so dahinfliessen könnte. Kein Wunder, dass es schnell grundsätzlich wird: Felix, der sich als Altphilologe ausgibt, vertritt in Sachen Liebe und Ehe die Rolle des philosophierenden Moralisten, während Clarin nicht zufällig Scheidungsanwalt geworden zu sein scheint. Giuseppe Spina gibt den Verführer ohne Gewissensbisse, den Mann der Realitäten – die nun einmal auf den ewigen Wandel ausgerichtet seien.

Die Fäden werden gestrafft

Felix wird sich an Clarin heften, wird ihn zu seiner Affäre mit Valerie befragen, die nach dem abrupten Ende der Romanze (Clarin brauchte mehr Raum) nicht mehr aufgetaucht ist. Und Felix berichtet von seiner Frau, die er vor einem Jahr verloren hat. Die einen Hirntumor hatte, die im Schwimmbad ums Leben gekommen ist. Wie er sagt.

Indem sich die Geschichte zwischen den Gemäuern des Greuterhofs entwickelt, der seltsam „authentisch“ wirkt durch die Lichtführung, durch eingespielte Geräusche sowie die stillen und verlorenen Klänge eines Klaviers und Cellos (Musik: Morten Qvenild), wird das Publikum ruhiger, konzentriert. Durch Einschübe wie den, den Weg der seltsamen Weggefährten in das Haus am Hang durch die Reihen des Publikums zu führen, sorgt Regisseur Noce Noseda immer mal wieder für Auflockerung. Und auch die Idee, Silvana Peterelli und Adele Raes nicht nur als Valerie oder vermeintliche Babette auftreten zu lassen, sondern mit ihnen das Leben auf der Terrasse des Restaurants heiter seinen gewöhnlichen Gang gehen zu lassen, tut der Inszenierung sehr gut.


Adele Raes und Silvana Peterelli als muntere Bedienungen und in diversen anderen Rollen. Bild: Eliane Munz

Die Geschichte zieht sich, gewinnt aber in dem Mass an Spannung, wie Clarin, ganz auf sein eigenes Leben konzentriert, nicht sieht, was zunehmend offensichtlich wird – Valerie ist die Verbindung zwischen beiden Männern. Dem Publikum wird das sogar ganz direkt vermittelt, indem Felix mehr als deutlich mit einer Pistole hantiert. Was Clarin im Greuterhof tunlichst zu entgehen hat.

In der Welt angekommen

Kein leichter Stoff, um ihn auf einer Bühne – die hier sogar nicht einmal Bühne ist, sondern das Pflaster eines Hofes – publikumswirksam umzusetzen. Was im überwiegend hochgelobten Roman gelegentlich als fein ziselierte, doch auch einsame Arbeit eines Autors an seinem Schreibtisch wirkt, hat im Greuterhof tatsächlich Kontakt mit der Welt aufgenommen. Nicht nur durch die ehrliche und professionelle Arbeit der Schauspielerinnen und Schauspieler, sondern durch die Dynamik der Rollenwechsel bei den Frauen und die Technik, in schnellen Rückblenden zu arbeiten.

Und das Ende? Valerie? Der ältere Herr ist verschwunden, Clarin bleibt mit einer sich verdichtenden Ahnung zurück. Das fahle Licht von Conrad Ferdinand Meyer, jetzt ist es wieder angebracht. Bevor es dunkel wird und der Applaus einsetzt.

Weitere Aufführungen bis einschließlich 1. September 2018.
Die Zuschauertribüne ist gedeckt, es wird bei jedem Wetter gespielt.

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