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von Michael Lünstroth, 20.06.2017

Wir gewinnt

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Das Kollektiv bei der Arbeit. Sara Widmer und Daniel Lütolf | © CKÖ

Sara Widmer ist Teil des Kunstkollektivs CKÖ. Für ihre klugen Interventionen im öffentlichen Raum, erhält sie den Förderbeitrag des Kantons Thurgau. Teil 6 unserer Serie über die Ausgezeichneten 2017

Von Michael Lünstroth

Was in Theater, Orchester und Tanz der Normalfall ist, war in der Bildenden Kunst lange verpönt - die Arbeit im Kollektiv. In unseren Köpfen steckte zu tief dieses Bild vom mystischen Einzelkünstler, der maximal mit seiner Muse zusammenarbeitet und sich ansonsten auf seine angeborene Genialität verlässt. Auch die aus dem Thurgau stammende Künstlerin Sara Widmer hat solo angefangen. Bis sie es mal anders ausprobiert hat. Bei einer Intervention gegen den Abriss eines Hauses in Zürich arbeitete sie gemeinsam mit Kollegen an einer Performance. Das hat so gut funktioniert, dass sie danach einfach zusammen geblieben sind. Es war die Geburtsstunde des Kollektivs CKÖ, das Widmer mit Daniel Lütolf und Georg Krummenacher bildete. "Wir haben gemerkt, dass das gut passt. Die Ideenfindung läuft bei uns immer gemeinsam, meistens sogar basisdemokratisch", erklärt Sara Widmer. Basisdemokratie und Kunst? Ob sich das verträgt? "Naja", sagt Widmer, "es ist immer wieder eine Herausforderung. Aber es ergeben sich ganz andere Diskussionen, wenn nicht einer einfach die Richtung bestimmt. Der Diskurs bestimmt bei uns das Werk."

Inzwischen ist CKÖ zwar nur noch ein Duo, Georg Krummenacher ist ausgestiegen, Sara Widmer und Daniel Lütolf machen zu zweit weiter. Dennoch macht ihre Entwicklung deutlich - die alte Vorstellung des mythischen Einzelkünstlers bekommt Risse. Die Gruppe als Produktionsform wird jetzt auch in der Bildenden Kunst salonfähig. Der New Yorker Künstler Francesco Spampinato hat 2015 Kunst- und Designkollektiven der Gegenwart einen eigenen Sammelband gewidmet. Seine Bilanz: Die Idee des Einzelkünstlers habe an Glaubwürdigkeit und Attraktivität verloren. Aktuelle Formen der Kulturproduktion seien vielmehr "offen, kollektiv, horizontal und partizipatorisch".

Sie fordern das Publikum und beziehen es ein

CKÖ stehen genau für eine solche Arbeitsweise. Wohl auch deshalb hat Sara Widmer in diesem Jahr den 25 000 Franken schweren Förderbeitrag des Kantons für ihre Arbeit erhalten. Bei der Vergabe der Preise im Mai lobte Kuratorin Rebekka Ray: „Sara Widmer hat bewiesen, dass sie gemeinsam mit Daniel Lütolf als CKÖ im zeitgenössischen Bereich intelligent intervenieren kann. Bei ihnen wird das Kunstobjekt auf Ausstellungs- und Darstellungsfunktion untersucht. Sie agieren oft zwischen zeigen und wahrnehmen und nutzen ihr scharfes kunstwissenschaftliches Bewusstsein. Sie fordert das Publikum und bezieht es ein."

Widmer, geboren 1980, ist in Sirnach aufgewachsen. 2011 beendete sie den Masterstudiengang European Design an der Köln International School of Design (KISD), am TAIK Helsinki und am L'École nationale supérieure de création industrielle (ENSCI) Paris. Ein Jahr später folgte schon die Gründung von CKÖ. Seither wurden die Arbeiten des Kollektivs in zahlreichen Ausstellungen gezeigt. Im Thurgau waren sie zuletzt mit dem Werk WATASTATA an der Werkschau Thurgau 2016 zu sehen. Sie haben mehrere Auszeichnungen erhalten, unter anderem den Swiss Art Award 2014. Ihre Arbeiten haben oft einen ganz eigenen Humor. Wie zum Beispiel die Installation „Justin Biberli", die unter anderem aus einem Automaten, der komplett mit einheitlichem Trockengebäck zu unterschiedlichen Konditionen gefüllt war, besteht, und ein Kommentar zu Wertfragen, Methoden der Manipulation und Verführung in der Moderne ist.

Der skurrile und obskure Name «WATASTATA» lässt auf das Experiment schliessen, das mit der Anordnung impliziert wird. Zu dem grossen Geschütz aus Holz, LED-Röhren und Schiffsfendern gehören Feuerwerksraketen, die für das Experiment «Wasserstarter» benötigt werden. Bild: CKÖ

Trifft man die Mitglieder von CKÖ, dann stellt sich erstmal eine Frage: CKÖ - was soll das heissen? „Es ist an keine Person gebunden, was das Kollektiv macht und wie viele wir sind, lassen wir mit dem Namen bewusst offen", erklärt Daniel Lütolf. Und sonst? Das KÖ soll für die Arbeit im Kollektiv stehen, das C haben sie davor gesetzt, um im Alphabet weiter vorne zu erscheinen. So einfach ist das manchmal.

Viele ihrer Arbeiten sind im Bezug auf einen bestimmten Ort entstanden. Deshalb ist die Vor-Ort-Recherche für die beiden Künstler besonders wichtig. „Wir gehen immer wieder zu dem Ort hin, wo die Arbeit entstehen soll. Beobachten, schauen genau hin, auch mit Hilfe von Fotografie und Film. Wir wollen immer ganz viel von diesem Ort einfangen und sammeln. Im Atelier beginnt dann die Analysearbeit: Was ist spannend an dem Ort? Und was wollen wir erzählen?", gibt Sara Widmer einen Einblick in ihre Arbeitsweise. Alles was gestalterisch passiert, machen sie zusammen. „Das Dialogische ist uns sehr wichtig. Man muss spüren, was der andere meint. Erst das lässt etwas Gemeinsames entstehen", glaubt die 37-Jährige.

Das Fördergeld soll jetzt auch ein bisschen Ruhe bringen ins Leben

Der Förderbeitrag des Kantons kommt für sie gerade zum richtigen Zeitpunkt. Sie haben sich ein neues Atelier in Zürich eingerichtet, die Fördersumme gibt ihnen jetzt auch ein bisschen Ruhe für den Rückzug ins Atelier, um an neuen Sachen zu arbeiten. „Wir waren in den vergangenen Jahren so viel unterwegs, ich spüre da eine gewisse Sehnsucht in mir, jetzt mal konzentriert an einem Ort zu arbeiten", sagt Sara Widmer. Das Fördergeld will sie jetzt auch für freies und experimentelles Arbeiten verwenden. „Wir wollen uns auch mit neuen Materialien und neuen Techniken vertraut machen", sagt sie. Denn auch darum geht es CKÖ immer wieder - ausprobieren, experimentieren, Neues wagen.

Fragt man sie, ob sie jemals wieder solo arbeiten möchte, sagt die 37-Jährige ohne grosses Nachdenken schnell: „Nein, eher nicht, das wollte ich nicht mehr." Es gibt immer mehr Künstler wie sie, die sich so entscheiden. Warum das so ist, hatte der New Yorker Künstler Francisco Spampinato in seinem Sammelband übrigens so erklärt:"Kollektive Kunst hatte immer dann Konjunktur, wenn politische, ökonomische oder gesellschaftliche Strukturen aus der Balance gerieten." Wenn es danach geht, kann man wohl davon ausgehen, dass die Popularität des Kollektivs weiter anhält.

 

Beitrag von arttv.ch zu einem CKÖ-Projekt in der Kunsthalle Arbon 2014

 

Bilder zu weiteren Arbeiten von CKÖ

Hinweis: Mit diesem Beitrag endet unsere Serie über die Gewinner der diesjährigen Förderbeiträge des Kantons

Weiterlesen: 

Mehr zur Auszeichnung: Alles zum Preis und den diesjährigen Preisträgern im Überblick gibt es hier: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3161/ 

Teil 1 der Porträtreihe über die diesjährigen Preisträger "Zeit, Geld und Anerkennung: Die Autorin Tabea Steiner über sich und ihre Arbeit" können Sie hier nachlesen: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3186/

Teil 2 der Porträtreihe über die diesjährigen Preisträger: "Aus der Schweiz nach Europa" Jazzmusiker Raphael Jost im Porträt finden Sie hier: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3191/ 

Teil 3 der Porträtreihe über die diesjährigen Preisträger: "Zwischen Geologie und Architektur" Die Geschichte über Reto Müller gibt es hier: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3202/ 

Teil 4 der Porträtreihe über die diesjährigen Preisträger: "Just do it" Die Geschichte von Christoph "Sirgel" Hartmann gibt es hier http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3216/ 

Teil 5 der Porträtreihe über die diesjährigen Preisträger: "Der Blick für den Moment" Die Geschichte über den Fotografen Sebastian Stadler gibt es hier: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3213/ 

Einen Bericht zur Förderpreisvergabe vom 23. Mai 2017 im Kunstraum Kreuzlingen gibt es hier: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3211/  

Eine Liste mit allen bisherigen Förderbeitragsempfängern seit 1996 gibt es hier: https://kulturamt.tg.ch/public/upload/assets/40777/Liste_Foerderbeitragsempfaenger_1996-2017.pdf 

www.ckoe.ch

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