von Michael Lünstroth, 17.09.2018
Bilbao am Bodensee
Die Unesco sagt: Kultur muss integraler Bestandteil von Stadtentwicklungsstrategien sein. In Kreuzlingen und Konstanz merkt man davon allerdings noch wenig. Aber vielleicht ändert sich das jetzt.
Die Hamburger haben einen speziellen Humor. In einer Publikation zur Internationalen Bauausstellung in der Hansestadt beschrieben sie 2007 das Zusammenwirken von Kunst und Stadtentwicklung nordisch schnoddrig so: Diese Disziplinen zusammenzuführen sei in etwa so als wolle man „ein vegetarisches Restaurant mit einer Horde Kannibalen eröffnen“. Dabei haben sie es durchaus probiert. Im Rahmen der Ausstellung gab es ein eigenes IBA-Labor, das sich mehrere Jahre mit Kultur und Stadtentwicklung beschäftigte. Von 2007 bis 2012 kamen Künstler und Kulturschaffende regelmässig mit Bürgern, Stadtplanern und Wissenschaftlern zusammen, um über das Spannungsfeld der beiden Disziplinen zu reden. Ergebnisse kann man auf der Internetseite heute noch nachlesen.
Was auch hier schon deutlich wurde: Noch viel zu oft werden die beiden Disziplinen nicht zusammen gedacht. Was für Metropolen wie Hamburg gilt, gilt für Städte wie Konstanz und Kreuzlingen erst recht. Aber dazu später. Dass Kultur und Stadtentwicklung ein erfolgreiches Duo sein können, davon zeugen nicht nur Grossprojekte wie das Guggenheim-Museum in Bilbao, die Elbphilharmonie in Hamburg oder, ganz aktuell, die Eröffnung einer Filiale des Victoria and Albert Museums im schottischen Dundee, sondern erschliesst sich auch ganz grundsätzlich. Städte funktionieren heute viel komplexer als man das lange glaubte. Es reicht nicht aus, ein paar schöne Gebäude hinzustellen und schon ist ein Quartier aufgewertet. Es braucht vielmehr als das: Dialog, die Möglichkeit der Begegnung, gemeinsame Erlebnisse - allesamt Dinge, die Kultur kreieren kann.
Der Mensch im Mittelpunkt aller planerischen Überlegungen
Die Unesco hat das Thema vor zwei Jahren erkannt und einen 300-seitigen Bericht über die Kultur als Faktor für die Entwicklung von Städten erarbeitet. Eine der Lehren daraus: «Kultur ist die DNA einer Stadt. Kulturelles Erbe trifft hier auf zeitgenössische Kunst und Kultur. Zusammen sind sie der Herzschlag urbaner Weiterentwicklung und Innovation. In Städten kommen Menschen zusammen, um sich auszutauschen, Neues zu kreieren und produktiv zu sein. Städte sind Treiber menschlicher Entwicklung. Kultur muss deshalb integraler Bestandteil von Stadtentwicklungsstrategien sein, um urbane Räume nachhaltig zu entwickeln und ihren Einwohnern eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen», forderte damals Karin von Welck, Vorstandsmitglied der Deutschen UNESCO-Kommission, in einer Medienmitteilung. Ziel solle es sein, den Menschen in den Mittelpunkt aller planerischen Überlegungen zu stellen.
Legt man diesen Massstab an die aktuelle Politik in Kreuzlingen und Konstanz an, dann merkt man schnell: Das passt noch nicht. Vor allem in Konstanz dominiert nach wie vor eine Stadtentwicklung, die von Investoren bestimmt wird. Allzu oft lässt sich die Stadt das Heft des Handelns aus der Hand nehmen, das Geld bestimmt, was gebaut wird, nicht die Idee einer funktionierenden Stadtgesellschaft. Das Potenzial der Kultur für den Zusammenhalt der Stadt wird entweder nicht gesehen oder gering geschätzt. Zwei Beispiele:
Aktive Stadtentwicklungspolitik? Fehlanzeige.
Als in den Jahren 2009 und 2010 mitten im Herzen der Innenstadt, ein ehemaliges Kaufhaus über mehrere Monate leer stand, musste die Stadt von der Tageszeitung darauf hingewiesen werden, dass man diese Brachfläche kreativ nutzen könnte: In Form einer kulturellen Zwischennutzung mit Proberäumen, Ateliers und Ausstellungsflächen für zeitgenössische Kunst. Mithin also allem, woran es in der Stadt - kulturell gesehen - besonders mangelte. Alles was der Stadt dazu einfiel war dann allerdings eine magere Medienmitteilung, in der sie auf die vielen offenen Fragen eines solchen Projektes hinwies. Sie bot an, sich mit ihren Erfahrungen in die Diskussion einzubringen. Das war es dann aber auch. Aktive Stadtentwicklungspolitik sieht anders aus. Am Ende wurde das Gebäude an die Drogeriekette Müller verkauft. Neben einer Spielzeugfiliale der Kette sitzen heute hier ein H&M und ein Einrichtungsladen.
Bei der Debatte um die Schliessung des Traditionskinos Scala verlief es im Prinzip ähnlich. Auch hier reagierten die Stadtverantwortlichen abwartend und zurückhaltend und führten vor allem Abwehrgefechte, um ja nicht selbst in die Verantwortung zu geraten. Zur Wahrheit gehört allerdings in diesem Fall auch: Für eine Rettung muss es auch jemanden geben, der sich retten lassen will. Das wiederum war beim Scala nicht gegeben. Der Kinobetreiber selbst hatte keinerlei Interesse an dem Traditionsstandort zu bleiben und zog stattdessen lieber in ein Multiplex-Kino. Aber auch hier gilt: Mit einer langfristigeren Stadtentwicklungspolitik, die auch relevante Kulturorte berücksichtigt, die versteht, wie wichtig kulturelle Begegnungsorte für die Menschen sind, hätte sich der Konflikt um das letzte Programmkino der Innenstadt anders lösen lassen.
Es ist nicht alles Mist, was von privaten Investoren entwickelt wird
Und Kreuzlingen? Macht es auf den ersten Blick ein bisschen besser. Zugegeben in einem kleineren Massstab als die grössere Nachbarstadt, aber immerhin. Das Begegnungszentrum „Das Trösch“ ist beispielhaft dafür. Es zeigt auch, dass nicht alles Mist sein muss, was von privaten Investoren entwickelt wird. Das im April 2017 eröffnete multifunktionale Gebäude will ein Treffpunkt für Menschen aller Generationen und Kulturen sein. Es kann von Vereinen, gemeinnützigen Organisationen, Firmen und Einzelpersonen genutzt werden. Regelmässig finden Veranstaltungen dort statt. Und: Man kann sich dort ganz ohne Konsumzwang treffen. Genau solche Orte sind es, die die moderne Stadt braucht.
Mit dem Kult-X auf dem Schiesser-Areal hat die Stadt ein weiteres Projekt in petto, das in diese Richtung gehen könnte. Ein Kulturzentrum, im Sinne eines Mehrspartenhauses soll hier entstehen. Die Vision dahinter klingt vielversprechend: Bildende Kunst, Kino, Theater und Musik sollen eine neue zentrale Heimat in der Grenzstadt bekommen. Es soll Platz für Ateliers, Künstlerwohnungen, Proberäume, einen Konzertraum und einen multifunktionalen Theater- und Kinosaal für bis zu 200 Personen geschaffen werden. Die in der Stadt bekannten Einrichtungen Theater an der Grenze, Kunstraum und Z88 könnten hier untergebracht werden. Mit eigener Kulturbeiz und dem Ziel, dass alle beteiligten Projektpartner nicht nur ihr Programm abspulen, sondern gemeinsam auch Neues schaffen: neue Veranstaltungsformate erdenken, Grenzen sprengen und die kulturelle Kraft der Stadt zum Leuchten bringen.
Erstickt die Politik das Kult-X mit ihrem Zögern?
Seit mehr als einem Jahr arbeiten viele ehrenamtliche Kräfte engagiert an dem Projekt. Bislang ist der Charme, den das Ganze mal haben könnte, allerdings nur in Ansätzen zu erkennen. Vieles wirkt improvisiert, nicht zu Ende gedacht, manchmal kann man den Eindruck bekommen, dass das Vorhaben an sich selbst scheitert. Die Politik hat die Hoffnung, dass sich hier langsam etwas entwickelt. In 15 Jahren, so sagte es Dorena Raggenbass, die zuständige Stadträtin für Erziehung und Kultur, könnte die oben skizzierte, grosse Vision vielleicht Realität sein. Die Frage allerdings ist, ob diese viele kleinen Schritte die ganze Idee nicht irgendwann ersticken. Und ob die vielen fleissigen ehrenamtlichen Helfer so viel Energie haben, ihr bemerkenswertes Pensum über einen so langen Zeitraum durchzuhalten. Oder ob alles am Ende doch wieder in sich zusammenfällt, weil eben nichts wirklich voran geht. Gerade ist jedenfalls nicht absehbar, ob die Kreuzlinger Politik den Mut hat, dieses Projekt wirklich durchzuziehen.
Die gute Nachricht nun ist: Kreuzlingen und Konstanz haben jetzt die Chance zu beweisen, dass sie es doch besser können. In dem sie, die seit Jahrzehnten immer mal wieder aufflackernde Idee eines gemeinsamen Kunsthauses entschlossen angehen. Ein Kunsthaus, das nicht nur Ausstellungsort, sondern auch Begegnungs- und Debattenort wird. In dem all das möglich wird, was uns in diesen Tagen so oft abhanden kommt: Dialog, gemeinsames Erlebnis, konstruktiver Streit. Vorbild dafür könnte zum Beispiel das museum schaffen in Winterthur sein. Mit seinem partizipativen Ausstellungsideen ist es Museumsdirektor Stefano Mengarelli gelungen, Menschen für ein Museum zu begeistern, die noch nicht ahnten, dass sie sich dafür mal begeistern könnten.
Kluge Leute gibt es hüben wir drüben. Sie sollten miteinander reden.
Die Ausgangslage am Bodensee ist günstig. Kreuzlingen hat mit dem Kunstraum Kompetenz und Erfahrung, ein solches Projekt zum Strahlen zu bringen. Konstanz mit seinen Hochschulen, seinem Bürgertum und den vielen Touristen hat grosses Publikumspotenzial, das Projekt dauerhaft am Leben zu halten. Ausreichend kreative und kluge Leute gibt es zudem auf beiden Seiten der Grenze. Man muss sie nur noch zusammenbringen. Dann könnte aus der vagen Idee, ein Projekt erwachsen, das zum Leuchtturm für beide Städte wird. Nicht zu vergessen, dass sich beide Städte zudem mit einem solch grenzüberschreitenden Prestige-Vorzeige-Projekt schmücken könnten. Worauf also noch warten?
Diskussion: Am Mittwoch, 19. September, 19.30 Uhr, gibt es eine Diskussion im Kult-X zu dem Thema. Unter dem Titel „Kultur und Stadtentwicklung“ diskutieren Dorena Raggenbass, Stadträtin Kreuzlingen, Sarah Müssig, Leiterin Kulturamt Konstanz, Michael Lünstroth, Redaktionsleiter thurgaukultur.ch und Simon Hungerbühler, Leiter Kult-X, miteinander. Moderation: Urs Brüschwiler, Thurgauer Zeitung
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