von Inka Grabowsky, 16.04.2018
Über den Umbruch am Bodensee
Die Publikationsreihe des Kantons zum „Thurgau im späten Mittelalter“ ist vollständig. Im Kloster Fischingen wurde der letzte Band mit dem Titel „Umbruch am Bodensee“ vorgestellt.
Von Inka Grabowsky
„Es ist schön: Man liest ein Geschichtswerk und darf dabei schmunzeln“, sagt der heutige Abt von Einsiedeln Dr. Urban Federer bei seiner Würdigung eines neuen Buchs zur Geschichte des Thurgau auf der Vernissage im Kloster Fischingen. Worauf er anspielte, war folgende Passage aus dem Beitrag „Aufgeschlossen – das Kloster Münsterlingen und seine Nonnen zur Reformationszeit“ von Peter Erni: „1571/72 geriet Magdalena Peter in Konflikt mit ihren eigenen Konventfrauen. Diese Auseinandersetzung war so heftig, dass der Abt von Einsiedeln, der sie schlichtete, entnervt festhielt, künftig wolle er lieber eine Wanne voller Flöhe hüten als ‚wyberkrieg richten’. Federer ist selbst Germanist und Historiker. „Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie befreiend es ist, nach Jahren des Forschens, des Konzipierens, des Schreibens und des Sammelns endlich das fertige Produkt in Händen zu halten und der Öffentlichkeit unterbreiten zu können.“ Der Kanton hatte das Konziljubiläum zum Anlass genommen, sich mit dem Thurgau im 15. und 16. Jahrhundert vertieft auseinanderzusetzen, erinnert Regierungsrätin Monika Knill. „Eine lebendige Geschichtsschreibung und aktive Geschichtsvermittlung ist der Thurgauer Regierung wichtig.“ 2012 begannen die Vorbereitungen für die Publikation, 2014 erschien der erste Band „Rom am Bodensee“, 2015 der zweite Teil „Vom Bodensee nach Bischofszell“. Nun konnte Monika Knill vom NZZ-Libro Verlagsleiter Urs Hofmann offiziell den Abschlussband „Umbruch am Bodensee“ entgegennehmen. „Ich bin gerührt, welche Wertschätzung dem Buch entgegengebracht wird“, sagt er dabei und verteilt gleichzeitig ein Kompliment an die Projektleiterin Silvia Volkart: „Ich würde jederzeit wieder ein Buch mit Ihnen machen!“
Der Einsiedler Abt Urban Federer war zu Gast bei der Buchvernissage im Kloster Fischingen. Bild: Inka Grabowsky
Vom Konzil zur Reformation
„Umbruch am Bodensee“ beschäftigt sich mit der Zeit zwischen dem Konzil und der Reformation. „Damals kam ein Prozess in Gang, der die Weichen für die Zukunft stellte“, so Volkart. „Altes wurde zerschlagen, Neues begann sich zu entwickeln.“ Die Herrschaftsverhältnisse hätten sich zwar nur langsam gewandelt, die Reformationsbewegung sei aber umso turbulenter gewesen. Gleichzeitig gab es soziale Fortschritte. Mitte des 15. Jahrhunderts wuchs offenkundig das Selbstbewusstsein der einfachen Leute. „Es gab einen eindrücklichen Kirchenbauboom in den Dörfern“, referiert die Herausgeberin aus einem Buchkapitel von Doris Stöckli und Regine Abegg. Wenn man also heute im Thurgau in jedem Dorf eine Kirche sieht, liegt es nicht nur an der Religiosität der ländlichen Bevölkerung. Zusammenhänge dieser Art waren es, die aus der ursprünglich auf vier Bände angelegten Reihe eine dreibändige Edition machten. „Die Gründe liegen in der Vielschichtigkeit der Epoche“, erklärt Silvia Volkart. „Die machtpolitischen und kirchengeschichtlichen Veränderungen waren eng miteinander verknüpft.“ Man habe zusammenhängende Ereignisse nicht aufsplitten wollen. „Markantes Beispiel dafür ist die Verbindung von sozialen, religiösen und politischen Konflikten, die 1524 zum Bauernsturm auf das Kloster Ittingen führten.“
Experten schreiben auch für Laien
17 Autoren haben am Doppelband mit 439 Seiten mitgewirkt – einige nur mit kurzen Texten, anderen mit vielen Kapiteln. Zu den prominentesten Autoren dürfte der Direktor des Napoleonmuseums Dominik Gügel zählen, der gleich sieben Beiträge verfasst hat. In seiner genauen Analyse des Feldbacher Altars beispielsweise weist er nach, wie sehr das Zeitgeschehen des Spätmittelalters Einfluss auf das an sich zeitlose Kunstwerk gehabt hat. Hatte man bisher immer geglaubt, im Hintergrund der Kreuzigungsszene sei Konstanz zu sehen, geht Gügel nun davon aus, dass Konstantinopel portraitiert wurde. Die Stadt am Bosporus war im Mai 1453 von den Türken erobert worden. Die „türkische Gefahr“ sei damit für die Christen bedrohlicher geworden, argumentiert der Historiker.
Wie auch schon in den beiden Vorgänger-Bänden wechseln sich im Abschlusswerk Thematisches und Schlaglichter auf Personen oder Gebäude ab. Allen Texten ist gemein, dass sie zwar wissenschaftlich fundiert sind, aber verständlich und mitunter amüsant zu lesen. „Sie lassen sich auch häppchenweise geniessen“, wie Monika Knill in ihrer Rede anpries.
Martha Monstein, die Chefin des Kulturamts, bedankt sich bei der Projektleiterin und Herausgeberin Silvia Volkart. Bild: Inka Grabowsky
Silvia Volkart (Hrsg.)
Der Thurgau im späten Mittelalter
Bd. 3/4: Umbruch am Bodensee
Vom Konstanzer Konzil zur Reformation, ca. 200 Abbildungen
Fr. 54.– / € 54.–
ISBN 978-3-03810-312-7. www.nzz-libro.ch
So sieht das Werk aus. Bild: Inka Grabowsky
Von Inka Grabowsky
Weitere Beiträge von Inka Grabowsky
- Kunst im Kreisel (26.01.2023)
- Ein neues Kapitel (31.12.2022)
- Dem Mythos auf der Spur (23.10.2018)
- Der nette Nachbar (01.10.2018)
- Wenn Buchhelden lebendig werden (01.10.2018)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Wissen
Kommt vor in diesen Interessen
- Geschichte
- Vorschau
Ähnliche Beiträge
Neue Schätze fürs Historische Museum
Freude beim Historischen Museum Thurgau: Der Verein „Museen im Thurgau“ schenkt dem Museum eine Sammlung bedeutender kunsthistorischer Objekte. mehr
5000 Besucher sahen «Schreck & Schraube»
Am vergangenen Wochenende schloss das Historische Museum Thurgau die Tore seiner Sonderausstellung zur Industriegeschichte. Die Veranstalter ziehen jetzt eine positive Bilanz mehr
Das Wertvollste aus dem Thurgauer Boden
Seit 150 Jahren kommen im Kanton Schätze ans Tageslicht, die bei Archäologen weltweit Aufmerksamkeit finden. Wir stellen die wichtigsten Funde vor und erklären, weshalb sie so wertvoll sind. mehr