von Inka Grabowsky, 26.01.2023
Kunst im Kreisel
Im Thurgau gibt es etwas über hundert Kreisverkehre. Einige sind mit Kunstwerken versehen - mal mehr, mal weniger gelungen. Eine Tour durch den Kanton.
„Ich mag die Kreiselkunst in Berg oder in Mauren”, sagt der Konstanzer Autor und Fremdenführer Patrick Brauns. „Berg zeigt mit seinem Slogan ‚Berg ist auf der Höhe’, dass es stolz auf seine Lage ist, und Mauren zeigt quasi die Quadratur des Kreisels mit rechtwinklig angeordneten Mauern. Wenn die Kreisel-Kunst etwas mit dem Ort zu tun hat und vielleicht noch mit etwas Humor gewürzt ist, finde ich es ideal.” Brauns schreibt als Journalist unter anderem über Architektur und ist so vor rund zehn Jahren auf die Kreisel-Gestaltung aufmerksam geworden. Er hat auf der Website www.kreiselkunst.ch einige der auffälligsten Kunstwerke dokumentiert. Nicht alle gefallen ihm: „Die Kreiselkunst in Kreuzlingen viel zu verkopft. Das versteht doch kein Tourist, der auf der Durchreise einmal halb um den Kreisel fährt.”
An dieser Stelle muss Markus Landert widersprechen. Der Direktor des Kunstmuseums Thurgau sass in der Jury, die in Jahr 2000 über den Wettbewerb zur Gestaltung der Kreisel entschieden hat. „Ein zeitgenössisches Kunstwerk ist eher ein Rätsel als eine Behauptung. Insofern ist es gut, wenn die Ergebnisse kontrovers diskutiert werden. Für uns entscheidend war damals, dass die Künstler Hannes und Petruschka Vogel ein Konzept hatten, um mehr als nur einen Punkt in Kreuzlingen zu besetzen. Sie haben ein ganzes Identitätsnetz über die Stadt gelegt. Die Tafeln auf den Kreiseln verweisen mit Begriffen oder Daten auf die Besonderheiten des jeweiligen Standorts. Das erschliesst sich meist nicht beim erstem Mal entlang fahren. Aber die Bedeutung der Inschriften kann man bei Bedarf ja nachlesen.“
Bilderstrecke: Diese Kreisverkehre haben wir uns angesehen
Konzepte auch anderswo
Ein Konzept zur Gestaltung von Kreisverkehren gibt es nicht nur in Kreuzlingen. In Bottighofen beispielsweise hat der Architekt Jean Claude Mahler die beiden Kreisverkehre am Orts-Ein- und -Ausgang 2004 im gleichen Stil gestaltet. „Man sieht den Plattformen an, dass die Gemeinde Geld hat“, bemerkt der Direktor des Kunstmuseums. „Aber ich empfinde die Skulpturen als blosse Dekoration, ohne weitere Wirkung auf den Betrachter.“ Zwei Dörfer weiter in Güttingen macht sich ebenfalls eine durchgängige Linie bemerkbar. Seit 2008 zieren Eichenfiguren des ortsansässigen Bildhauers Thomas Niederhauser den Kreisverkehr im Zentrum. „Zusammenhalt“ heisst die Installation, für die die Stimmbürger sich nach einem Wettbewerb ausgesprochen hatten. Inzwischen sind die zwölf Stelen von Wind und Wetter grau gegerbt. Auf einer Verkehrsberuhigungsinsel am westlichen Ortsrand gibt es nun eine weitere, noch frisch gelbe Menschenansammlung.
Gelungener Kompromiss in Amriswil
Der mutmasslich berühmteste Kreisverkehr des Thurgaus befindet sich in Amriswil. Die von der sogenannten „Kreiselbande“ in einer Guerilla-Aktion aufgestellten „Unterhosenstiere“ des Wäscheproduzenten Isa-Sallmann mussten 2015 ihren Platz räumen, weil Werbung in Kreiselinnenräumen nicht gestattet ist. Damit aber niemand die liebgewonnenen Symbole vermisst, stellte der Künstler Hanswalter Graf eine Stiersilhouette vor den Unternehmenssitz, sechs Meter hoch, aber nur wenige Zentimeter schmal. Sie ist nun Projektionsfläche für Tagträume der Vorbeifahrenden. Derzeit bespielt sie der Amriswiler Kulturpreisträger 2014 Walter Dick. „Mir gefällt die Mächtigkeit“, sagt Markus Landert. „Er transportiert die Werbestiere in ein heraldisches Zeichen. Ein Stier ist ja mehr als nur ein männliches Rind. Die ausgeschnittene Schablone ist optisch und ästhetisch spannend. Sie spielt mit dem Blick des Herumfahrenden, der mal frontal und mal seitlich darauf fällt.“
Die Original-Stiere sind nicht ganz aus der verkehrsumtosten Welt. Einer von ihnen wurde von der Strassenbaufirma Kibag gekauft, umlackiert und markiert nun kurzfristig als Stellvertreter späterer Bebauung unfertige Kreisverkehre in der ganzen Schweiz. Weil das gut ankommt, gibt es mittlerweile eine dreiköpfige Herde. Ein Exemplar steht derzeit vor dem Spital in Münsterlingen.
Der Amriswiler Stier hat mit dem Bassisten vor dem Pentorama einen Partner bekommen, überzogen mit einer Grafik von Lukas Fleischer. Über Schönheit und Symbolkraft könnte man wieder diskutieren – jedenfalls aber weiss man genau, wo man ist, wenn man dieses Werk sieht. Ähnlich ist es mit dem Mühlrad von Müllheim, der Apfel-Schautafel in Altnau oder den oben erwähnten Mauern in Mauren. „Eigentlich finde ich es schade, wenn die Schaufläche im Kreisel für nur Standortmarketing benutzt wird“, sagt Kunstexperte Landert.
Zu umschiffende Klippen
Im Müllheim gibt es nicht nur das Mühlrad als Ortslogo, sondern einen Kreisel weiter auch eine bronzene Zentaurin, im Jahr 2000 geschaffen von Sonja Wasser, einer Absolventin und Lehrbeauftragten der Bildhauerschule in Müllheim. „Das ist handwerklich gut gemacht”, lobt der Museumsdirektor, „aber ob der Gegensatz zwischen technischer Funktionalität mit dem grossen Pylonen für die Verkehrsschilder und dem mythischen Wesen wirklich so geplant war, wagte ich zu bezweifeln. Die beiden Eingriffe auf dem Kreisel sind sich so fremd, dass es schon fast wieder gut ist.“Ein ähnliches Problem sieht er bei den Figuren des Kunstschlossers Bruno Spoerlé auf dem Hubkreisel in Romanshorn. „Sie sind ja ganz witzig, aber unüberlegt aufgestellt und wirken deshalb beliebig.“
Enge Rahmenbedingungen
Neben der Ästhetik stellt jede Mittelinsel auch eine fachliche Herausforderung dar: Nicht jede Pflanze hält es dort aus, nicht jedes Material ist geeignet. Die Konzeptkunst in Kreuzlingen bestand ursprünglich aus Milchglasscheiben, die je nach Sonnenstand oder Scheinwerferstrahl Lichteffekte verursachten. Nachdem aber immer wieder Scheiben durch von Reifen hochgeschleuderte Steine zerbarsten, mussten sie durch Aluminium ersetzt werden. In Steckborn sind die vier Fischreiser (gestaltet von Urs Traber) derzeit nur noch zum Teil zu bewundern. Eigentlich sollten die Betonstelen zeigen, wie früher Fische gefangen wurden. Nun sind sie Vandalismus zum Opfer gefallen und müssen repariert werden
Was immer auf den Kreisel gestellt wird, soll die direkte Durchsicht verhindern und das Langsamfahren fördern. „Erhebungen im Kreiselinnenraum sollten mindestens eine Höhe von 1.50 m ab Fahrbahn betragen“, heisst es im Merkblatt „Kreisel Innenraumgestaltung“ des Thurgauer Tiefbauamts. Gleichzeitig ist man um die Unfallsicherheit besorgt: „Die Ausgestaltung im Innenraum darf bis auf eine Höhe von 3,5 m über der Fahrbahn und in einem Abstand von 4 m zur Kreiselfahrbahn keine scharfen Kanten, Vorsprünge, Kabel, harte Hindernisse oder Bäume aufweisen.“ Und Ablenken sollen die Deko-Elemente natürlich auch nicht. „Das ist eine paradoxe Situation für die Kunst“, sagt Hannes Brunner, Professor für Bildhauerei an der Kunsthochschule Weissensee in Berlin: „Kreiselkunst soll die Atmosphäre eines Ortes gestalten, aber sie darf nicht ablenken. Deshalb kann sie eigentlich nur im Nachhinein eine kognitive Dynamik auslösen.“
Zwischen Erfordernissen und Ästhetik
Der Frauenfelder Hannes Brunner hat mit Unterstützung unter anderem der Kulturstiftung Thurgau ein Kunstprojekt zu Kreiseln auf den Weg gebracht. „Driver’s Comment“ lud Kulturbeauftragte ein, Kreiselkunst zu kommentieren, während sie im Auto mehrfach um das jeweilige Objekt fahren. Eine Installation dazu wurde 2011 in der Kunsthalle Arbon gezeigt. 150 von etwa 500 Videos sind online. „Wir sitzen in unseren Autos wie unter Glasglocken, und die Umwelt wirkt auf uns – mal erhaben, mal ärgert man sich, mal wird man wütend genug für Leserbriefe.“ Brunner selbst findet Kreiselkunst schlimmstenfalls belustigend oder peinlich, wenn sich jemand auf Kosten der Allgemeinheit selbst verwirklichen wollte. Ein normaler Autofahrer kann ja ohnehin nur wenige Sekunden für den Blick auf das Kunstwerk erübrigen. Das sei im Verhältnis zum Aufwand sehr wenig. „Bei mir gibt es nun den in die Länge gezogenen künstlerischen Blick auf den gestalteten Raum durch Profis, die vergleichen können und in die Werke einführen.“ Wichtig genug sind die Werke nach Ansicht des Künstlers auf jeden Fall: „Im Alltag nutzen wir Kreiselkunst als Wegmarke und sagen etwa ‚Beim Kreisel mit dem Pferd musst du links ab’. Insofern ist sie ein Identifikationspunkt wie eine gotische Kathedrale.“
Von Inka Grabowsky
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