von Peter Surber, 21.03.2018
«Auf den Mainstream zu schielen wäre langweilig»
Am Donnerstag startet das St.Galler Literaturfestival Wortlaut zu seiner zehnten Ausgabe. Mitorganisator Richi Küttel über St.Galler Spezialitäten, Konkurrenz und die Vorlieben des Publikums.
Interview: Peter Surber
Wie geht es Wortlaut im zehnten Jahr?
Richi Küttel: Es kommt frisch daher, mit neuer Grafik. Und das Festival ist inzwischen weitherum bekannt, auch über St.Gallen hinaus. Wir haben Ticketreservationen aus Schaffhausen, Konstanz, Winterthur, aus dem Appenzellerland sowieso.
Das ist immer noch ein relativ kleines Einzugsgebiet. Wie steht es um die nationale Wahrnehmung?
Wortlaut spielt, wenn man es sportlich nehmen will, etwa in der Liga wie die Festivals Literaare in Thun oder das Literaturfest Luzern. Die Solothurner Literaturtage sind dagegen eine eigene Kategorie, sie sind mehrsprachig und international angelegt und seit 35 Jahren eine Institution. Noch einmal ganz anders funktioniert das Festival Leukerbad. Womit Wortlaut wahrgenommen wird und was es auszeichnet, sind die Reihen. Wir sind, wie ich glaube, zeitgenössischer und näher am Publikum als zum Beispiel Solothurn.
Zeitgenössisch inwiefern?
Mit dem Schwerpunkt auf Spoken Word, auf Comic und Graphic Novel und auf Kabarett-nahe Formen. Das sind Entwicklungen, die Solothurn etwas verpasst.
Gerade wegen diesen St.Galler Spezialitäten müsste das Publikum doch von weit her ans Wortlaut kommen.
Dem steht vermutlich entgegen, dass das Angebot riesig ist. Slams gibt es zahlreich an vielen Orten auch unter dem Jahr. Und die Schweiz ist dann doch zu gross, als dass man für einen solchen Anlass die Reise auf sich nimmt – erst noch in den Osten… Was uns bisher nicht so recht gelungen ist, ist, den Bodenseeraum besser einzubinden. Da sind die Grenzen noch erstaunlich undurchlässig.
Impressionen vom Wortlaut 2017. Bild: Kaspar Höhener
Eine Kooperation mit der lebendigen Literaturszene etwa in Vorarlberg war nie ein Thema?
Bisher haben wir übermögliche Kooperationen nicht diskutiert.
Wie wichtig sind klingende Namen für den Erfolg des Festivals?
Wir haben uns das natürlich überlegt, gerade jetzt im Hinblick auf das Zehn-Jahr-Jubiläum. Und wir haben uns dagegen entschieden, um jeden Preis mit prominenten Namen auftrumpfen zu wollen und dafür das Gagenbudget hochzuschrauben. Wir haben programmiert wie immer, mit dem Ziel, eine vielfältige Mischung anzubieten und das Publikum zu den unterschiedlichen Genres zu locken, vom Comic in eine Lesung, in einen Slam und so weiter. Zudem müsste man fragen,was denn ein «klingender Name» sei. «Dr. Lüdi» Andres Lutz ist für mich ein solcher Name, sein neues Programm ist grossartig, durchgeknallt…
Peter Stamm fehlt am Wortlaut, trotz neuem Buch.
Ein Peter Stamm, ein Arno Camenisch, eine Melinda Nadja Abonji oder Eveline Hasler lesen in St.Gallen auf Einladung des Rösslitors. Das ist verständlich, eine Buchhandlung setzt auf sichere Werte.
Auch die jüngst zum zweiten Mal gelaufenen Buchtage Weinfelden programmierten so: Peter Stamm, Arno Camenisch, Charles Lewinsky, Linard Bardill oder Mitra Devi lesen dort.
Wenn Arno Camenisch liest, ist der Saal voll. Aber als Programmidee würde es mich langweilen, auf den Mainstream zu schielen. Bei einer Lesung von Peter Stamm sind zu 80 Prozent Leute im Publikum, die ihn kennen und schon einmal an einer Lesung von ihm waren. Wir machen bei Wortlaut wie andere Veranstalter Jahr für Jahr auch die Erfahrung, dass es nicht leicht ist, das Publikum dazu zu bringen, sich auf Stimmen und Bücher einzulassen, die es noch nicht kennt. Die Leute gehen gern auf Nummer sicher. Und die populären Autoren haben ja auch deshalb Erfolg, weil sie einfach gut sind. Ich sehe es trotzdem und gerade bei einem Festival als unsere Aufgabe an, das Publikum mit Entdeckungen zu konfrontieren, es auch mal herauszufordern. Man muss das eine nicht gegen das andere ausspielen.
Neben den Buchhandlungen bietet auch die Hauptpost-Bibliothek literarische Veranstaltungen an. Es ist viel los in der Stadt…
Das stimmt, und hinzu kommen weitere Anlässe der PH, der HSG, Lesungen im Kultbau, Buchpremieren etc. Mein Eindruck ist: Es wurde noch kaum je so viel Literatur veranstaltet in St.Gallen wie jetzt. In der Summe ist man schon fast versucht zu sagen, St.Gallen sei tatsächlich eine Buchstadt. Allerdings sind Verlage dünn gesät.
Feiert am Wortlaut 10 Buchpremiere: Lika Nüsslis "Vergiss Dich Nicht".
Auch hiesige Autorinnen und Autoren kann man an einer Hand abzählen. Am Wortlaut-Festival treten sie nur auf der «kleinen» Ostschweizer Bühne auf, abgesehen von der Buchpremiere der Zeichnerin Lika Nüssli. Bei den Werkbeiträgen sind literarische Eingaben ebenfalls eher rar. Steht es schlecht um die Autorenförderung?
Es gibt eine ganze Reihe guter Stimmen in der Region; auch wenn sie über die Ostschweiz hinaus weniger wahrgenommen werden. Ich stelle jedoch auch bei der Kulturvermittlungsplattform kklick fest, dass literarische Angebote seltener sind und von den Schulen weniger nachgefragt werden als Programme aus den Bereichen Musik und Theater. Das mag daran liegen, dass bei einer Lesung vordergründig weniger «Action» ist als bei einem Theaterstück. Aber gerade das Reduzierte könnte in unserer unruhigen Zeit ja auch attraktiv sein. Vielleicht ist Literatur einfach zu diskret, und zudem haben Bücher eine langwierige Entstehungszeit. Wenn Kinder dann aber eine Autorenlesung erlebt haben, sind sie in aller Regel hell begeistert, und die Ausleihen in der Schulbibliothek schnellen in die Höhe.
Hat Literatur ein Generationenproblem?
Die Gesellschaft für deutsche Sprache und Literatur GdSL als Trägerin des Wortlaut Festivals ist als Verein tatsächlich in die Jahre gekommen. Es ist schwierig, jüngere Mitglieder zu finden. Lesungen sind in der Regel eine Sache für ein Publikum Ü40. Für Slams gilt das natürlich nicht, aber das sind zwei verschiedene Interessenkreise. Am Wortlaut allerdings kommen sie zusammen, da klappt der Brückenschlag zwischen den Genres und Generationen.
Was sind deine Favoriten für die Jubiläumsausgabe?
Ich bin sehr gespannt auf den Eröffnungsabend mit «Kosovë is everywhere». Und auf die Comicreihe, bei der ich jedes Jahr viel dazulerne. Beim Slam freue ich mich auf die Astronauten, in der Literatur besonders auf Jens Steiner, der ein grossartiger Leser ist, und auf die Literaturdebatte mit Dana Grigorcea und Nicol Ljubic. Und eben: Dr. Lüdi:
Das gesamte Programm im Überblick gibt es hier: http://www.wortlaut.ch/programm/
Hinweis: Dieser Text erschien zuerst im Märzheft von Saiten.
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