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von Michael Lünstroth, 18.07.2018

Die Poetry-Slam-Prinzessin

Die Poetry-Slam-Prinzessin
Im Konfettiregen: Nur wenige deutsche Künstler werden gleichzeitig so geliebt und so gehasst wie Julia Engelmann. Am 22. Juli kommt sie für ein Konzert in den Konstanzer Stadtgarten. | © Thommy Marco

Ein YouTube-Video hat sie berühmt gemacht. Seitdem ist nichts mehr, wie es war für Julia Engelmann (26). Mit dem Erfolg kam aber auch der Neid: Kaum eine junge deutsche Künstlerin polarisiert so wie Julia Engelmann. Liest man über sie im Internet bekommt man das Gefühl: Es gibt nur zwei Gruppen - Hardcore-Fans und Super-Hater. Jetzt kommt die Dichterin, die inzwischen auch Sängerin ist, für ein Konzert nach Konstanz. Wir haben vorab mit ihr telefoniert. Ein Gespräch über Glück und seine Folgen. 

Frau Engelmann, in Ihren Texten geht es oft um das Glück und wie man dahin gelangt. Was bedeutet für Sie Glück?

Glück bedeutet für mich vor allem glücklich sein und nicht Glück haben im Sinne eines Lottogewinns. Glücklich bin ich in den verschiedensten Situationen. Das sind oft auch stille Momente. So kleine Momente von ehrlicher, aufrichtiger Dankbarkeit und Zufriedenheit zum Beispiel.

Ist das ein Ihr Leben bestimmendes Gefühl?

Also die Baseline in meinem Leben ist schon ein Zufriedenheitsgefühl. Aber ich fühle mich auch nicht immer nur glücklich. Wäre das so, würde mich das ehrlich gesagt auch stutzig machen. Ich glaube daran, dass Gefühle so sind wie innere Jahreszeiten, die sich immer wieder abwechseln.

Wenn Sie an Ihren inzwischen Millionen Mal geklickten Auftritt vom 7. Mai 2013 bei dem Poetry Slam an der Universität Bielefeld zurückdenken - war das auch einfach nur Glück?

Da habe ich schon extrem Glück gehabt. Das ist, wenn ich jetzt so zurückblicke, wie eine Riesen-Wunderkerze-Sternschnuppe in meinem Leben.

Dieser Auftritt machte Julia Engelmann berühmt

Welche Erinnerungen haben Sie noch an diesen Abend?

Ich kann mich daran noch gut erinnern. Ich weiss noch, wie ich mit dem Zug nach Bielefeld gefahren bin, wie ich backstage mit jemandem über die richtigen Schuhe für einen Marathonlauf gesprochen habe, dass ich noch einen Pulli von meinem Bruder übergezogen habe. Ich habe damals auch ganz lange überlegt, welchen Text ich eigentlich vortragen soll.

Das heisst, um ein Haar hätte es dieses „Einestages, Baby“-Momentum und den darauffolgenden Hype gar nicht gegeben?

Absolut. Ich habe erst 5 Minuten vor meinem Auftritt entschieden, dass es dieser Text werden würde.

Wann haben Sie gedacht: Verdammt, das Ding wird jetzt richtig gross?

An dem Abend selbst auf keinen Fall. Ich bin da, glaube ich, Vorletzte geworden. Das war für mich ein schöner Abend, aber da habe ich nicht daran gedacht, dass dieser Abend mein Leben verändern würde. Erst als viele Menschen dieses Video geschaut haben, war ich gespannt, was das für mein Leben bedeuten könnte. Auch als ich das realisiert hatte, habe ich lange gedacht, das sei eine Episode. Tatsächlich hat es dann doch ein bisschen mehr verändert für mich. Das war eine Weichenstellung.

Mehr als 11 Millionen Leute haben den Clip angesehen, Sie haben seither drei Bestseller-Bücher geschrieben - wie geht man mit solch einem Erfolg um?

Es ist für mich ein unglaublich schönes Gefühl, das alles beruflich machen zu können und dann auch noch zu wissen, dass Leute lesen, was ich schreibe und das ihnen das in bestimmten Momenten auch was bedeutet. Da passieren ja die verrücktesten Sachen: Es gibt Menschen, die tätowieren sich meine Sätze. So etwas berührt mich sehr. Auch auf der SPIEGEL-Bestseller-Liste zu stehen ist natürlich ein tolles Feedback für meine Arbeit. Aber der wichtigste Erfolg liegt für mich tatsächlich darin, dass ich hauptberuflich Dichterin sein darf.

Ist dieses Gefühl wichtiger als der äusserliche Erfolg?

Das noch wichtigere Gefühl für mich ist eigentlich, dass ich da so eine Art Weltanschauung praktiziere oder teile und dass ich dadurch so viel mitbekomme, wie ähnlich sich Menschen auch sind. Dadurch, dass mir jeden Tag so viele Menschen schreiben, dass sie sich durch meine Texte verstanden und nicht mehr alleine fühlen, merke ich wie ähnlich unsere Wünsche und Hoffnungen sind, eigentlich ist das das Schönste daran.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie durch Ihre Art der Poesie manchen Menschen diese Welt erstmals erschlossen haben?

Ich glaube, das war nicht ich, sondern das Format des Poetry Slam. Das hat es salonfähig gemacht, der Poesie eine Bühne zu geben. Über jeden der poesie-interessiert wird durch meine Gedichte, freue ich mich.

«Ich habe mir über die Jahre angewöhnt, sehr bei mir zu bleiben und nicht zu sehr nach aussen zu gucken, was jetzt irgendwo über mich geschrieben wird.»

Julia Engelmann, Sängerin und Slam-Poetin  

Mal ehrlich, wie viel von dem Erfolg war geplant?

Das kam total überraschend. Ich war eigentlich Psychologie-Studentin im dreieinhalbten Semester, da habe ich nicht mehr geplant, als mal Pause zu machen in den Semesterferien. Ich habe das danach immer Schritt für Schritt genommen. Ich habe beim ersten Buch weder an das nächste oder weitere gedacht, sondern die ganze Zeit aufgeregt an das erste Buch. Genauso war es bei der ersten Tour. Erst jetzt im Rückblick fällt mir so etwas wie ein roter Faden in der Entwicklung auf.

Lesen Sie eigentlich noch Kritiken über sich?

Ich kann ganz gut für mich einschätzen, wer in meinem Leben eine Meinung hat, die wichtig ist für mich. Und ich mag wertschätzende, konstruktive Kritik. Ich habe mir über die Jahre aber angewöhnt, sehr bei mir zu bleiben und nicht zu sehr nach aussen zu gucken, was jetzt irgendwo über mich geschrieben wird. Das erfahre ich nur, wenn es mir jemand von meinen Freunden oder aus meiner Familie erzählt.

Es ist ja tatsächlich bemerkenswert: Wenn man so nachliest, was über Sie geschrieben wird, stellt man schnell fest, entweder finden die Leute Sie total super oder total ätzend.

Ich glaube, das liegt gar nicht so sehr an mir, sondern daran, dass Menschen trotz ihres ähnlichen Kerns doch auch noch einen verschiedenen Geschmack haben.

Was denken Sie, wenn Sie Zeilen lesen wie „Julia Engelmann macht Poesie für Menschen, die keine Poesie lesen“?

Da würde ich jetzt erstmal fragen: Was bedeutet denn Poesie? Ist nicht jeder Mensch eigentlich poetisch? Müssen sich Gedichte unbedingt reimen? Ist nur ein klassischer Dichter ein Poet? Ich finde, das sind spannende Fragen. Mich interessiert auch immer zu hören, was Poesie für andere Menschen bedeutet. Ich habe grundsätzlich Freude am Austausch und offenen Diskurs. Auch über das, was ich mache.

Überrascht Sie die Häme mit der teilweise über Sie geschrieben wird?

Ich beschäftige mich damit gar nicht so viel, deshalb habe ich das nicht so auf meinem Radar. Ich konzentriere mich lieber auf das, was ich mache. Ich bin zum Beispiel schon wieder dabei, über mein neues Buch nachzudenken, was jetzt im Herbst rauskommt. Ich bin immer schon sehr im nächstmöglichen kreativen Schritt in meinem kleinen Leben, da fehlt mir auch die Zeit und Lust, mich mit so negativen Empfindungen auseinanderzusetzen.

«Grüner wird's nicht»: Julia Engelmann singt jetzt auch

Und jetzt machen Sie auch noch Musik - wie kam es dazu?

Das hat bei mir schon mit der ersten Tour angefangen. Da habe ich zwischendurch immer wieder Gitarre gespielt. Text und Musik - das gehört für mich schon immer ganz eng zusammen. Daraus irgendwann mal ein Album zu machen, war immer ein Traum. Als sich diese Möglichkeit für mich ergeben hat, war ich unglaublich glücklich.

Die meisten Texte des Albums gab es schon als Gedicht. Verändern sich die Verse durch die Vertonung?

Ja, der Kosmos wird dreidimensionaler. Musik ist einfach noch mal ein anderes Bett, das man dem Text baut oder andere Farben, die man hinzufügt. Das macht auf jeden Fall was mit dem Text.

Termin & Gewinnspiel: Julia Engelmann spielt am Sonntag, 22. Juli, 20 Uhr, im Stadtgarten Konstanz. Karten (Vorverkauf: 25 Euro, Abendkasse: 30 Euro) gibt es online online auf www.nachtschwärmer-kn.de  oder www.eventim.de Wir verlosen 3x2-Tickets für das Konzert. Wie ihr an die Karten kommt, steht hier.

«Ich mag wertschätzende, konstruktive Kritik.» Julia Engelmann im Interview mit thurgaukultur.ch Bild: Ben Wolf

 

 

 

 

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