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von Michael Lünstroth, 26.01.2017

"Eine Entscheidung ist fällig"

Bilanz nach sechs Jahren: Gabriele Keck, Direktorin des Historischen Museums, spricht im Interview über Ziele, Wünsche und Hoffnungen. | © Historisches Museum

Ein verschneiter Wintertag im Januar in Frauenfeld. Wir treffen Gabriele Keck, die Direktorin des Historischen Museums Thurgau, in ihrem Büro im Schlossgebäude. Die 57-Jährige wirkt aufgeräumt und guter Dinge. Im Gespräch zeigt sie sich sehr offen, erläutert ihre Arbeit, was sie in den vergangenen sechs Jahren verändert hat und wohin sie noch will. Natürlich geht es auch um den Erweiterungsbau des Museums. Das beschäftigt Keck seit Amtsantritt - und sie hat eine dezidierte Meinung zu Standort, Grösse und den Anforderungen eines neuen Hauses.

Frau Keck, Sie sind seit bald sechs Jahren Direktorin im Historischen Museum. Macht Ihnen der Job eigentlich noch Spass?

Ja, immer mehr. Der Weg, den wir im Team eingeschlagen haben, setzt viel Energie frei und ist für uns alle inspirierend. Die Öffnung des Museums für ein breites Publikum mit einem vielfältigen Vermittlungsangebot ist aber auch herausfordernd. Aber wir kommen dem Ziel nahe.

Wo genau ist das?

Das Ziel, welches ich erreichen möchte, ist letzten Endes der Erweiterungsbau. Wir sind aber noch nicht so weit, solche Projekte brauchen Zeit. Aber es ist auch klar: Auf die lange Sicht kann es nicht so weiter gehen. Unsere Depots haben keine Kapazitäten mehr, deshalb gehört Umlagern und Verdichten bereits zum Tagesgeschäft. Unsere Depots sind nicht nur zu klein, sondern aus konservatorischer Sicht auch nicht mehr tragbar. Kulturschutzgüterräume müssen bestimmte Anforderungen erfüllen puncto Klima, Sicherheit und Logistik, was bei uns nur sehr eingeschränkt gegeben ist. Somit haben wir auch einen Risikofaktor. Man könnte uns irgendwann nachsagen, dass unsere Generation fahrlässig mit dem thurgauischen Kulturgut umgegangen ist. Die Depots sind natürlich nicht die einzige Baustelle. Auch in unserem Haupt-Ausstellungsort, dem Schloss, haben wir nur begrenzt Platz. Das ganze 19. und 20. Jahrhundert kann beispielsweise gar nicht gezeigt werden. Auch im Alten Zeughaus, unserem temporären Ausstellungsort, gibt es keine idealen Bedingungen für professionelle Museumsarbeit, weil die Klimabedingungen verhindern, dass wir sensible Objekte ausstellen können. Wir wollen uns jedoch am Standard der großen Museen orientieren. Deshalb bleibt es dabei: Diese Erweiterung ist das grosse Ziel, an dem wir arbeiten.

Haben Sie bei Dienstantritt damit gerechnet, dass es fünf Jahre später immer noch diskutiert werden würde?

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es mit dieser Heftigkeit auch in den Medien diskutiert würde, dass wir aber noch keinen Grundstein verlegt haben, liegt auf der Hand. Das habe ich auch schon in Bern erlebt, da dauerte es zehn Jahre. Diese Zeit brauchen solche Prozesse einfach, es sind ja auch politische Entscheidungen, die sorgfältig getroffen werden müssen.

Wie viel Geduld haben Sie denn noch bei dem Thema?

Ich habe viel Geduld. Ich weiss, dass solche Entscheidungen schwierig und langwierig sind. Dazu muss man auch wissen, dass vor fünf Jahren nicht ganz klar war, welchen Stellenwert das Historische Museum Thurgau bei der Bevölkerung hat. Manche haben sich vielleicht sogar die Frage gestellt, ob es uns überhaupt braucht. Und diese Stimmungslage ist ganz schwierig für den Wunsch nach einem Erweiterungsbau. Ein Museum mit wenig Besuchern und wenig Unterstützung durch die Bevölkerung hat bei einer Abstimmung vermutlich eher schlechte Karten. Das hat sich inzwischen doch ein bisschen geändert, es gibt viele Leute, die sagen, dass wir hier interessante und spannende Dinge tun für alle Generationen.

Das heisst in den vergangenen Jahren haben Sie vor allem den Boden bereitet für eine politische Abstimmung?

Ja, das gehört auch dazu, aber nicht nur. Wenn es bald zu einem Erweiterungsbau kommt, was ich sehr hoffe, dann sollen die Menschen verstehen, warum dies so dringend notwendig war und weshalb das auch für den ganzen Kanton ein Vorteil ist. Immerhin stiftet ein historisches Museum auch Identität.

Bis zu Ihrer Pensionierung sind es noch acht Jahre. Bis dahin sollte doch eine Entscheidung gefallen sein.

Von Pensionierung möchte ich noch nicht sprechen, noch habe ich einige Jahre vor mir. Wir werden sehen, wie es weitergeht. Der schlechteste Fall für das Museum wäre, wenn man irgendwann sagen würde, jetzt stellen wir das Vorhaben erst einmal zurück, wir reden schon so lange darüber und müssen warten bis die nächste Generation kommt und dann fangen wir von vorne an. Eigentlich wäre es an der Zeit, eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung zu fällen. Denn Fakt ist ja auch, Evaluationen und Gutachten kosten Geld.

Diskutiert wird ja auch nicht nur der Bau an sich, sondern auch, wo er entstehen soll. Romanshorn, Arbon, einige Städte haben sich da ins Spiel gebracht. Welchen Standort halten Sie für den Richtigen?

Museen müssen dahin, wo die Menschen sind. Ich kann es nur an Zahlen festmachen, die wir hier erheben. Nach unserer Besucherstatistik ist der Fall ganz klar, wo die Menschen herkommen. Da kommt etwa die Hälfte der Besucher aus Frauenfeld und Umgebung. Deshalb sollte es in Frauenfeld sein, das ist ein guter Ort hier.

Und dort dann auf dem früheren Kasernengelände?

Mit dem Kasernenareal bietet sich erstmals eine Chance, von der ich denke, sie wäre auch finanziell realisierbar, weil es ein Neubau wäre. Neubauten sind in der Regel günstiger als Umnutzungen. Dazu kommt: Frauenfeld hat eben den Hauptstadtcharakter und ich kenne im Land kein anderes kantonales Museum, welches nicht in der Hauptstadt wäre. Hier sind auch andere Museen sowie das Staatsarchiv. Es wäre gut, wenn man das beieinander liesse. Das ist aber nur meine persönliche Meinung. Wenn es nach dem politischen Willen ein anderer Standort sein soll, kann man das schon probieren, aber dann muss man sich bewusst sein, dass eine Standortverlegung einem Neustart gleichkommt und entsprechend viel Geld für Kommunikation und Marketing aufgebracht und ein neues Publikum aufgebaut werden muss.

Wie fällt ansonsten Ihre Bilanz der vergangenen fast sechs Jahre aus?

Abgesehen von dem eben besprochenem Thema Erweiterungsbau muss ich sagen: Vergleiche ich die Bedingungen zu meinem Start 2011 mit heute, dann ist das eine Art andere Welt. Wir konnten wichtige strukturelle und organisatorische Verbesserungen in die Wege leiten. Das war notwendig, weil sich die Anforderungen an ein Museum in den letzten Jahrzehnten rasant entwickelt und verändert haben. So ist es gelungen, Zuständigkeitsbereiche klarer zu definieren und die Profile zu schärfen. Wir hatten vorher beispielsweise keine eigene Kommunikationsstelle, keine eigene Stelle für die Kulturvermittlung. Die Sammlungs- und Ausstellungskuratoren können sich ihren Aufgaben widmen, der Besucher-Service erledigt vielfältige administrative Arbeiten. Wichtig war mir auch die Öffnung des Museums für verschiedenste Anspruchsgruppen und die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Das war mein erstes Ziel. Das Museum als sozialen Ort, als Begegnungsplattform etablieren. Wir sind ein historisches Museum, aber wir sind nicht verstaubt, bei uns kann man lehrreiche und trendige Vermittlungsangebote wahrnehmen. Die Reaktion auf diese Angebote zeigt, dass wir damit richtig liegen. Die Buchungen von Führungen für Schulklassen sind beispielsweise deutlich gestiegen.

Neben den strukturellen Änderungen: Haben Sie das Museum auch programmatisch neu aufgestellt?

Als ich anfing, war eine Sonderausstellung aus den bekannten Platzgründen in die Dauerausstellung von Schloss Frauenfeld integriert. Aber das funktioniert nicht, die Besucher können nicht zwischen Sonder- und Dauerausstellung unterscheiden. Auch war die Dauerausstellung in die Jahre gekommen, man musste die Räume attraktiver gestalten, die Objekte ansprechender präsentieren. Auch aus konservatorischen Gründen bestand Handlungsbedarf, so waren etwa die Fenster mit keinem UV-Schutz ausgestattet. Wir haben erkannt, dass das Schloss alleine eine grosse Faszination ausübt. Das Publikum würde wohl auch kommen, wenn wir das Schloss ganz ausräumen würden. Es hat fast eine magische Anziehungskraft, die alten Steine, die Wandmalereien, das Holz, das ist alles anders als Zuhause. Diesen Vorteil haben wir mit der neuen Schlossausstellung genutzt, in dem wir die spannende Geschichte des Spätmittelalters erlebnisreich und im passenden Gebäude inszeniert haben. Beim sonstigen Ausstellungsprogramm ist es so, dass wir Ausstellungen alle zwei Jahre selbst produzieren, in den Zwischenjahren aber auch Ausstellungen einkaufen. Bei einem so kleinen Team wie dem unseren geht das gar nicht anders.

Wurmt es Sie eigentlich, dass in der Politik Erweiterung und Sanierung des Kunstmuseums höhere Priorität haben?

Nein, ich habe kein Konkurrenzdenken, die kantonalen Museen bilden zusammen ein wirkkräftiges Ensemble. Problematisch ist, dass im Grunde fast alle Museen des Kantons seit Jahren einen Investitionsstau vor sich herschieben. Das ist beim Kunstmuseum so und gilt auch für das Napoleonmuseum. Und für einen kleineren Kanton ist das schon eine Herausforderung, wenn man gleichzeitig viel investieren müsste. Da muss man sich schon die Frage stellen – wo fängt man an? Wo ist der Bedarf am Grössten? Alles andere funktioniert nicht, man kann dem Stimmvolk kaum erklären, es gibt jetzt drei Museen und die brauchen vielleicht ungefähr 100 Millionen Franken und dann geht es weiter. Das ist bedauerlich, dass sich jetzt alles angestaut hat. Die Museen und ihre Besucher sind die Leidtragenden.

Schauen wir auf das Programm 2017. Warum lohnt sich ein Besuch in Ihrem Museum?

2017 steht im Zeichen des Reformationsjubiläums. Wir stellen deshalb das Schloss in den Fokus und kümmern uns dort um das Thema Reformation. Das ist keine neue Ausstellung, sondern Teil unserer Schlossausstellung. Das ist bei der Neugestaltung schon so geplant worden, dass die Reformation im Thurgau einen Teil einnimmt. Das Programm dazu ist über das ganze Jahr verteilt, mit ganz verschiedenen Veranstaltungen. Wir sind ein Haus für alle Generationen, deshalb haben wir Angebote für ein anspruchsvolles Kulturpublikum, Veranstaltungen für Kinder und Familien, Führungen für Schulklassen aller Stufen.

Können Sie das noch konkreter fassen?

Wir sind zum Beispiel ein Kooperationsprojekt mit dem Jungen Theater Thurgau eingegangen. Dann feiert Anfang Mai das Schaudepot St. Katharinental mit unserer volkskundlichen Sammlung in Diessenhofen sein 20-jähriges Bestehen. Wir organisieren zwei Tage der offenen Tür am 6. und 7. Mai mit Handwerksvorführungen und vielem mehr. Dann gibt es Ende August einen Mittelaltertag hier auf dem Schlossareal. Die Stadt Frauenfeld hat ausserdem einen Kulturtag ins Leben gerufen, da machen wir natürlich mit. Es ist sehr erfreulich, dass die Frauenfelder Kulturveranstalter zusammenspannen und sich mit einem vielfältigen Programm für eine lebendige Kulturstadt einsetzen. Dann haben wir verschiedene Abendvorträge zur Reformation, öffentliche Führungen mit Spezialthemen zur Reformation. Besonders wichtig ist uns, dass Schulklassen das Historische Museum Thurgau als ausserschulischen Lernort wahrnehmen. Deshalb haben wir im Reformationsjahr ein spezielles Angebot für Schulen ausgearbeitet. Und erstmals bieten wir auf den Lehrplan abgestimmte Führungen im Schaudepot St. Katharinental an. Und selbstverständlich geht auch unsere «Kultserie», die Museumshäppli, weiter. Einzelne Veranstaltungen kreisen auch hier um die Reformation. Wir setzen auf Veranstaltungen, unser Angebot soll vielfältig sein und es soll möglichst etwas für alle geben.

Wie macht man ein 500 Jahre altes Ereignis wie die Reformation auch heute noch begreifbar?

Bei uns geht es auch um Interaktivität. Unsere Kulturvermittlerin Melanie Hunziker sagt jeweils, der Funke muss überspringen. Die Frage ist doch – wie kann man junge Menschen für die ferne Vergangenheit begeistern. Eine von vielen Antworten lautet: Sie müssen sich von den Ereignissen betroffen fühlen, sich verorten können. Deshalb gibt es immer wieder Bezüge zur Gegenwart. Es ist doch klar: Wir können heute nicht mehr die Geschichtsdaten herunterbeten und dann hoffen, dass die Leute sich darüber freuen. Das funktioniert so nicht. Da muss man andere Wege finden.

2016 gab es einen Besucherrekord - so freute sich das Museum darüber

Letztes Jahr haben Sie einen Besucherrekord geknackt - ist das Jahr nach so einem Rekord besonders schwierig?

Ach, ich weiss nicht. Besucherzahlen sind nur eine Seite. Uns ist wichtig, dass die Qualität unserer Angebote stimmt, dass die Menschen gerne ins Museum kommen und auch wieder kommen. Dass immer wieder an die 100 Zuhörerinnen und Zuhörer zu unseren halbstündigen «Museumshäppli» kommen, das sind für uns Erfolge, die zählen. Ob es unter dem Strich dann insgesamt 17 000 oder 15 000 sind, spielt keine so grosse Rolle. Das ist allenfalls eine schöne Bestätigung, dass das Angebot stimmt. Aber insgesamt dürfte 2016 eher eine einmalige Konstellation mit gleichzeitiger Schloss- und Sonderausstellung gewesen sein. Die gleich hohe Publikumszahl erreichen wir dieses Jahr vielleicht nicht. Dafür haben wir 2018 eine attraktive Ausstellungs-Eigenproduktion zur Industriegeschichte auf dem Programm und viele spannende Ideen harren der Umsetzung. Wir möchten unserem Publikum stets unser Bestes bieten.

Fragen: Michael Lünstroth

Zur Person

Gabriele Keck (57) ist in der Nähe von Frankfurt am Main geboren und aufgewachsen. Sie studierte an der Universität Freiburg i.Ü. Kunstgeschichte, Mittelalterliche Geschichte und Historische Grundwissenschaften, war unter anderem von 1990 bis 2004 Mitarbeiterin und später Leiterin des Atelier d'archéologie médiévale in Moudon (VD) sowie von 1996 bis
2003 Mitglied der Redaktionskommission der Zeitschrift «Kunst und Architektur in der Schweiz» der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Seit 2000 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin Mittelalter des Historischen Museums Bern, ab 2002 Vizedirektorin. Seit 2011 ist sie Direktorin des Historischen Museums Thurgau.

 

So wirbt der Kanton für das Historische Museum (Videobeitrag von 2014)

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