von Michael Lünstroth, 24.10.2017
Die Ruhe nach dem Sturm
Zwischen Depression und Aufbruch: Das Theater Winterthur hat harte Jahre hinter sich. Die Sparmassnahmen sind überstanden, jetzt soll eine neue Struktur das Haus fit machen für die Zukunft
Wenn man nicht aufpasst, kann man sehr schnell verloren gehen in diesen Gängen. Alles sieht so gleich aus. Türen: gleich. Wände: gleich. Treppen: gleich. Wüsste man nicht, dass man im Backstagebereich eines Theaters wäre, man wähnte sich in einem teuflischen Labyrinth, durch das man zwar immer weiter läuft, dabei aber schleichend das Gefühl für die eigene Bewegung verliert, weil ein Flur so sehr dem anderen gleicht. Ohne ortskundigen Begleiter wäre man hier ziemlich aufgeschmissen. Wie gut, dass René Munz dabei ist. Seit Juni 2014 ist der frühere Thurgauer Kulturamtsleiter hier Verwaltungsdirektor. Hier ist in dem Fall das Theater Winterthur. „Ich habe selbst ziemlich lange gebraucht, um mich hier zurecht zu finden“, sagt er als seinen Besucher durch das Haus führt. Irgendwann steht man dann in einem Raum, der Umkleidekabine und Maske für die Schauspieler zugleich sein kann. Die Wände sind voller Zeichnungen, Widmungen, Gedanken. Munz zeigt auf ein Gekritzel. „Der hier war auch mal da. Es ist unser Schmuckstück“, sagt er mit einer Mischung aus Stolz und Ironie. Es ist die Unterschrift von John Malkovich. 2012 hat der Starschauspieler den alternden Casanova in Winterthur auf die Bühne gebracht.
John Malkovich was here: Der amerikanische Schauspieler hat sich an einer Wand im Theater Winterthur verewigt. Bild: Michael Lünstroth
Und das unterstreicht ja ganz gut, was dieses Theater Winterthur eigentlich ist - das grösste Gastspielhaus der Schweiz mit internationalem Programm. Es gibt kein eigenes Ensemble und keine eigenen Produktionen, dafür kommen Aufführungen aus Theatern der ersten Riege im deutschsprachigen Bereich hierher und bringen bisweilen aufsehenerregendes Theater in die Stadt. In der jetzt laufenden Saison gastieren zum Beispiel das Burgtheater Wien, Schauspiel Frankfurt, Berliner Ensemble und das Schauspielhaus Bochum (mehr zum Saisonprogramm im Kasten am Ende des Textes). 800 Plätze hat das Haus und die Zuschauer können hier auf mehreren Bühnen breites Programm erleben: Oper, Musical, Tanz, Schauspiel, Kinder- und Jugendtheater, Konzerte, Lesungen und manches mehr. Schon das Gebäude an sich ist eine Attraktion: Frank Kreyenbühl hat Ende der 1970er Jahre einen Koloss aus Stahl und Beton geschaffen, dem es heute noch gelingt, Architektur-Touristen aus aller Welt anzulocken. Das Gebäude gehört seit 1979 zum kantonalen Inventar der schützenswerten Bauten.
Der Einstieg hätte nicht holpriger sein können
Seit dreieinhalb Jahren ist René Munz Verwaltungschef dieses Hauses und das noch immer gerne, wie er sagt. Das hätte man auch anders vermuten können, denn die vergangenen Jahre hatten es in sich am Theater Winterthur. Rückblick: Munz ist gerade ein paar Monate im Amt, da ploppen Pläne auf, das Theater abzureissen und stattdessen ein Kongresszentrum mit Theaterbetrieb und Hotel zu errichten. Von den Plänen, die massgeblich von Wirtschaftsleuten und Touristikern voran getrieben wurden, erfuhr der Verwaltungsdirektor durch den Anruf eines Journalisten. Als das vom Tisch war, kam die nächste Hiobsbotschaft. Finanzielle Engpässe bei der Stadt führen zu einem massiven Sparprogramm. In Folge sinken die städtischen Subventionen um mehr als 2 Millionen Franken - von 6,1 auf 4 Millionen Franken. Konsequenzen daraus: Es mussten vor allem Stellen reduziert, Abos gestrichen und die Spielzeit verkürzt werden. Die Kürzungen des Programmangebots führten wiederum zu Verlusten bei den Eintrittseinnahmen. „Der Umfang der Sparmassnahmen und vor allem die Abbruchdiskussion zu Beginn meiner Direktionszeit hat mich überrascht, das war ein harter Einstieg“, sagt René Munz heute, fragt man ihn nach seinen ersten Monaten in Winterthur. Was ihn damals besonders gewundert hat war, dass eine Grundsatzdiskussion darüber entstand, ob die Stadt das Theater überhaupt noch brauche: „Das hatte ich nicht erwartet und ich bin froh, dass wir das hinter uns haben“, so der Verwaltungschef.
"Wir sind auf einem guten Weg": Verwaltungschef René Munz. Bild: privat
Inzwischen hat Munz die Wende geschafft: Die Einnahmen von 2008 bis 2015 sind um rund eine Million Franken gestiegen (das entspricht einem Plus von 50 Prozent), und das trotz der Subventionskürzungen. Was bleibt, ist gleichwohl die Notwendigkeit das Haus zu sanieren. Mindestens 800 000 Franken im Jahr müsse man hier in den kommenden Jahren investieren, sagt Munz. In einer Antwort auf eine Interpellation aus dem Grossen Gemeinderat hatte der Winterthurer Stadtrat im September 2015 erklärt: „Für Massnahmen, welche in den nächsten 15 bis 20 Jahren notwendig sind, um den Theaterbetrieb im bestehenden Gebäude aufrecht zu erhalten und die Sicherheit zu gewährleisten, wird von einem Bedarf von 12 bis 20 Millionen Franken ausgegangen.“ Immerhin: Dank einmaligen Geldern aus dem Lotteriefonds (2,87 Millionen Franken) konnte unter anderem die Bühnentechnik erneuert und ergänzt werden. Die weitere Sanierung soll in den kommenden Jahren nun in Ertappen erfolgen.
Geplant ist jetzt eine Privatisierung light
Zweite Grossbaustelle für René Munz: Der Theaterbetrieb soll aus der Stadtverwaltung ausgegliedert und in eine gemeinnützige Aktiengesellschaft (AG) überführt werden. Es ist so etwas wie eine Privatisierung light. „Damit soll dem Haus mehr Eigenverantwortung und Flexibilität sowie eine breitere Finanzierung durch Private und Sponsoren ermöglicht werden. Hauptaktionäre dieser AG werden die Stadt Winterthur und der Kanton Zürich sein, aber auch Gemeinden und Private werden sich beteiligen können“, erklärt der Verwaltungsdirektor das Konzept. Am Programm und kulturellen Auftrag des Theaters soll sich durch die Ausgliederung aber nichts ändern. Auch die Höhe der Zuschüsse soll in der neuen Struktur zumindest nicht sinken, konkrete Zahlen dazu gibt es aber bislang nicht. In einer Grundsatzentscheidung hat sich der Grosse Gemeinderat im Januar 2016 für diesen Weg entschieden, jetzt liegt es am Stadtrat dem Parlament ein Konzept vorzulegen, wie das genau gehen soll. Mitte 2018 könnte es dann erneut Thema in der Politik werden. Stimmt das Gremium auch hier zu, folgt eine Volksabstimmung: Der neue Subventionsvertrag müsste dem Stimmvolk vorgelegt werden.
Der Weg ist noch weit, aber René Munz will ihn bis zum Schluss gehen: „Ich habe mich um diese Stelle beworben im Wissen darum, dass der Theaterbetrieb in eine eigenständige, gemeinnützige Trägerschaft überführt werden soll. Diese Aufgabe möchte ich gern zu Ende führen“, sagt er. Man sei da insgesamt auf einem guten Weg, glaubt Munz. Programmatisch soll das Haus sein Profil als Gastspielbühne mit internationalem Angebot behalten. Wichtiger werden in Zukunft aber die Koproduktionen mit anderen Häusern wie dem Opernhaus, dem Musikkollegium oder dem Theater Kanton Zürich werden, glaubt der Verwaltungsdirektor. Und wenn in der Politik alles doch mal wieder länger dauert, als Munz es gerne hätte, dann sucht er Trost in der Kunst: „Bei jeder Produktion, die ich mir im Haus ansehen bin ich berührt von der Atmosphäre, von der Leistung der Darsteller und vom Applaus des Publikums. Das ist äusserst motivierend.“
Zahlen, Daten, Fakten zum Theater Winterthur
50 verschiedene Produktionen werden pro Saison veranstaltet
32 Menschen sind fest angestellt am Theater, rund 50 weitere Mitarbeiter sind stundenweise beschäftigt
53 106 Zuschauer kamen in der Spielzeit 2014/2015 zu den 179 Vorstellungen des Theaters im grossen Saal, im Foyer oder auf der Hinterbühne
8,52 Millionen Franken kostete der Theaterbetrieb im Jahr 2014. Den Löwenanteil übernimmt die Stadt Winterthur. Damals waren es 4,99 Millionen Franken. Rund 2,49 Millionen Franken erwirtschaftete das Theater selbst, der Kanton Zürich zahlt jährlich 837 000 Franken, Gemeinden der Region sowie Dritte unterstützten das Theater mit 195 832 Franken
Einer der Höhepunkte der neuen Saison: Das Wiener Burgtheater kommt mit der Produktion "Das Konzert". Bild: Burgtheater
Programm-Highlights der Saison 2017/2018Schauspiel Ab 25. Oktober: Tschick. Nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf. Koproduktion Theater Winterthur/Theater Kanton Zürich Ab 6. Dezember: Tod eines Handlungsreisenden; Eurostudio Langraf/Altes Schauspielhaus Stuttgart Ab 22. Februar: Der Trafikant; Württembergische Landesbühne Esslingen (siehe Bild links; Fotograf: Patrick Pfeiffer) Ab 27. Februar: Die Orestie; Schauspielhaus Bochum Ab 23. Mai: Schöne neue Welt; Landestheater Tübingen Ab 1. Juni: Das Konzert; Burgtheater Wien
Musiktheater Ab 3. November: Giustino. Oper von Georg Friedrich Händel; Lautten Compagney Berlin/Compagnie Marionettistica Carlo Cola & Figli Mailand Ab 29. Dezember: Der Vetter aus Dingsda (Operette); Kammeroper Köln Ab 1. Februar: Don Giovanni (Oper); Theater und Orchester Heidelberg Ab 19. April: Hair (Musical); Frank Serr Showservice Ab 5. Mai: La finta giardiniera (Oper); Opernhaus Zürich/Musikkollegium Winterthur
Tanz Ab 29.November: My Rock (Ballett); Compagnie Jean-Claude Galotta Grenoble Ab 12. Januar: Carmen (Tanztheater); Ballet de Camaguey (Kuba)/Musikkollegium Winterthur Ab 22. März: Naked Thoughts; IT Dansa, Barcelona Ab 16. April: Stream; Steps: Gauthier Dance, Dance Company Theaterhaus Stuttgart Ab 29. Mai: Hieronymus B. Tanz durch Hölle und Paradies von Nanine Linning; Dance Company Nanine Linning/Theater Heidelberg
Kinder- und Jugendtheater Ab 29. Oktober: Die wilden Schwäne (Musical); Kindertanztheater Claudia Corti; ab 6 Jahren Ab 23. Dezember: Das kleine Gespenst (Erzähltheater); Theater Winterthur; ab 5 Jahren Ab 27. März: Schneewittchen; Theater Mummpitz Nürnberg; ab 6 Jahren Ab 3. April: Parzival; Landestheater Tübingen; ab 10 Jahren 28. Mai bis 1. Juni: „Augen auf! Das Festival“; vierte Auflage des Jugendtheaterfestivals
Karten für sämtliche Vorstellungen gibt es entweder im Internet: www.theater.winterthur.ch oder über die Telefonnummer 052 267 66 80. Tickets kosten je nach Platz und Vorstellung zwischen 120 und 10 Franken pro Vorstellung.
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