von Michael Lünstroth, 04.10.2018
Im Schlaraffenland?
In anderen Regionen geht es der Kultur an den Kragen, der Thurgau investiert ab 2019 mehr in die Kultur. Fast 44 Millionen Franken werden in den nächsten vier Jahren verteilt. Das geht aus dem neuen Kulturkonzept hervor. Was mit dem Geld passieren soll und alles, was Sie sonst über das Konzept wissen müssen.
Paradies, Schlaraffenland, ferne Galaxien - die im Thurgau aufgewachsene Künstlerin Olga Titus befasst sich gerne mit Sehnsuchtsorten. Insofern war es eine hintersinnig gute Wahl das neue Kulturkonzept des Kantons Thurgau mit Werken der Schweizerin mit malaysisch-indischen Wurzeln zu illustrieren. Denn während anderswo über Streichungen des Kulturbudgets verhandelt wird, gibt es im Thurgau in den kommenden vier Jahren sogar mehr Geld für Kulturschaffende. Fast 10,8 Millionen Franken sollen von 2019 bis 2022 jährlich aus dem Lotteriefonds in ganz verschiedene kulturelle Projekte fliessen. Im vorherigen (allerdings auch ein Jahr kürzer geltendem Kulturkonzept) waren es noch rund 9,7 Millionen Franken. Die Zahlungen an die kantonalen Museen sind darin nicht enthalten, sie werden separat über die Staatskasse abgerechnet.
Grafik: Budgets der kantonalen Museen
Wer profitiert nun vom neuen Kulturkonzept? Ein kurzer Blick in die Zahlen: Kulturstiftung des Kantons Thurgau; 1,1 Millionen Franken. See-Burgtheater Kreuzlingen: 200.000 Franken pro Jahr. Theater Bilitz: 300.000 Franken pro Jahr. Schlossfestspiele Hagenwil: 42.000 Franken pro Jahr. Ittinger Pfingstkonzerte: 80.000 Franken pro Jahr. Generations Jazzfestival: 45.000 Franken pro Jahr. Kunstraum Kreuzlingen: 150.000 Franken pro Jahr. Kunsthalle Arbon: 55.000 Franken pro Jahr. Bodmanhaus Gottlieben: 50.000 Franken pro Jahr. Kultur im Eisenwerk: 145.000 Franken pro Jahr. Und das ist nur eine kleine Auswahl. Übrigens: Auch thurgaukultur.ch profitiert davon: Wir erhalten 190.000 Franken pro Jahr aus dem Lotteriefonds (was wir damit machen: Mehr dazu am Ende des Textes in einem separaten Infokasten). Die schnelle Übersicht zeigt schon: Mit dem Geld ermöglicht der Kanton ein vielfältiges Kulturleben, wie es für einen ländlich geprägten Kanton nicht unbedingt üblich ist.
Die Entscheider: So wird das Geld verteilt
Über die Vergabe der Mittel wird mit Hilfe eines mehrstufigen Verfahrens entschieden. Der Regierungsrat entscheidet über die Entnahme aus dem Lotteriefonds bei Beiträgen von über 20 000 Franken bis zu einmalig 3 Millionen Franken und über die Gewährung von neuen, jährlich wiederkehrenden Beiträgen bis zu 1 Million Franken. Alles was darüber hinaus geht, liegt dann in der Entscheidung des Kantonsparlaments, also dem Grossen Rat. Grundsätzlich verwaltet das kantonale Kulturamt den Lotteriefonds. Ab Beiträgen von mehr als 200 000 Franken ist die Stellungnahme der Kulturkommission einzuholen. Für alles darunter gilt: Das Kulturamt entscheidet gestützt auf Stellungnahmen von Fachreferentinnen und Fachreferenten über Beiträge bis zu 10 000 Franken, die Chefin des Departementes für Erziehung und Kultur bis 20 000 Franken.
Grafik: Gelder aus dem Lotteriefonds nach Sparten
Die neuen Ziele sind erklärungsbedürftig
Das Kulturkonzept ist aber keine reine Geldverteilmaschine, sondern es will auch inhaltliche Schwerpunkte setzen für die nächsten vier Jahre. Es bildet „die Basis der kantonalen Kulturförderung“, wie es im Text heisst. Ziele sind demnach: Die Umsetzung der Museumsstrategie für die kantonalen Museen, die stärkere Vernetzung von Veranstalterinnen und Veranstaltern im Kulturbereich sowie neue Impulse für die Thurgauer Musikszene.
Klingt nachvollziehbar. Aber was genau soll das bedeuten? Erstens: Die kantonalen Museen. Sie sollen zukünftig enger zusammen arbeiten, gemeinsame, interdisziplinäre Ausstellungen und Veranstaltungsreihen entwickeln zum Beispiel. Das fällt unter das Stichwort Museumsstrategie und wird schon seit Jahren rauf und runter diskutiert. Richtig viel rumgekommen ist bislang noch nicht. Einen gemeinsamen Nenner zu finden scheint schwer: Zu unterschiedlich wirken die Interessen, zu verschieden das Verständnis davon, was ein Museum heute leisten soll. Der Kanton hält trotzdem an dem Projekt fest, weil er sich dadurch bzw. durch eine starke Dachmarke, eine bessere Aufmerksamkeit für alle Museen erhofft.
Die Museen haben teilweise ganz andere Sorgen
Bislang stockte das Projekt wohl auch deshalb immer wieder, weil vor allem Kunstmuseum und Historisches Museum ganz andere Sorgen haben als an Betriebsstrukturen herumzudoktern. Beide Häuser wünschen sich schon seit Jahren Sanierung und eine Erweiterung. Geschehen ist aus verschiedene Gründern hier wie dort allerdings noch nichts. Der Kanton hat allerdings bereits im März dieses Jahres erklärt, dass er aktuell die grössere Dringlichkeit beim Kunstmuseum sieht. Für das Historische Museum bedeutet das, dass es bis auf weiteres mit seinen diversen Provisorien leben muss. Die Lage wird durch die Asbest-Belastung in einem der Depots des Museums zudem noch schwieriger.
Zweitens: Stärkung und Vernetzung der Veranstalter im Kanton. Hier konstatiert das Kulturkonzept: „Nur wenige Veranstalterinnen und Veranstalter im Thurgau verfügen über durchwegs professionelle Strukturen mit Schlüsselstellen, die durch Fachleute besetzt sind. Die Vereine sind auf engagierte Freiwillige angewiesen, die ihre Tätigkeit in der Freizeit oder in einem minimal bezahlten Pensum ausüben.“ Hier will der Kanton künftig zu mehr Wissensaustausch sowie zu einer Professionalisierung beitragen. So soll es regelmässige Netzwerktreffen für Veranstalter im Thurgau geben. Diese Treffen sollen ein bestimmtes Thema behandeln, das für die Arbeit der Veranstaltenden relevant ist, heisst es weiter. Die Idee kann sicher nicht schaden, aber ob solche sporadischen Fortbildungs-Initiativen nachhaltig dazu geeignet sind, die strukturellen Mängel zu beheben, steht indes auf einem anderen Blatt.
Zu wenig Innovation, zu viel vom Gleichen
Drittens: Neue Impulse für die Thurgauer Musikszene. Hier wünscht sich der Kanton mehr Innovation. Im Konzept heisst es: „Es gibt viel Ähnliches; innovative Projekte sind eher rar und genreübergreifende Vorhaben oder solche, die neue Synergien schaffen, gibt es nur vereinzelt.“ Auch hier will der Kanton auf mehr Austausch und Kooperation setzen: „In Zukunft sollen professionelle Thurgauer Musikerinnen und Musiker, die hier oder anderswo tätig sind, motiviert werden, im Thurgau ein Projekt mit lokalen Vereinen und Ensembles umzusetzen“, schreiben die Verfasser des Kulturkonzeptes. Erreicht werden soll dieses Ziel über eine Ausschreibung. Gewünscht werden demnach „interdisziplinäre und ortsübergreifende oder an unkonventionellen Orten stattfindende Projekte, die sich an ein breites Publikum richten“. Das klingt ein bisschen nach der berühmten eierlegenden Wollmilchsau. Allein die Begriffe „unkonventionell“ und „breites Publikum“ scheinen schwer vereinbar. In der konkreten Arbeit an dem Projekt muss man hier wahrscheinlich noch mal nachjustieren.
Dass man sich beim Kanton dafür nicht zu schade ist, zeigt jedenfalls die Bilanz der Ziele aus den Jahren 2016 bis 2018. Die Fördermassnahmen im Bereich der kantonalen Kulturvermittlung hätten demnach unterschiedliche Wirkung gezeigt, heisst es in dem Konzept. Manches davon werde bleiben - wie zum Beispiel der Wettbewerb „Komet“, der besonders gelungene Vermittlungsprojekte künftig alle drei Jahre auszeichnen soll - anderes wird es hingegen eher nicht mehr oder nur noch reduzierter geben. So stiess das Angebot des Kulturamts, sich gemeinsam mit einem Experten ein massgeschneidertes Angebot im Vermittlungsbereich zu erarbeiten, auf wenig Resonanz. Nur „eine Handvoll Thurgauer Institutionen“ hätten Interesse gezeigt. Das offenbart freilich ein anderes Dilemma der Kulturförderung: Sie kann nur was bewirken, wenn es auch Menschen gibt, die sich fördern lassen wollen.
Grafik: Wohin das Geld aus dem Lotteriefonds fliesst
Selber lesen: Das komplette Kulturkonzept gibt es zum Download hier.
Weiterlesen: Wie funktioniert der Lotteriefonds? Und wie kann man sich um Mittel daraus bewerben? Sascha Erni hat die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema zusammengestellt.
Wie thurgaukultur.ch vom Lotteriefonds profitiert
Ohne Lotteriefonds gäbe es auch kein Online-Kulturportal thurgaukultur.ch: 2008 als Kulturvermittlungsprojekt gegründet und seit Frühjahr 2009 online, wird thurgaukultur.ch zum grössten Teil aus Geldern des Lotteriefonds und der Kulturstiftung Thurgau finanziert. 190.000 Franken erhalten wir jährlich (ab 2019, vorher waren es 160.000 Franken) aus dem Lotteriefonds, 50.000 Franken (ab 2019, vorher 40.000 Franken) im Jahr von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau.
Die Menschen hinter thurgaukultur.ch sind im Wesentlichen unsere Geschäftsführerin Sarah Lüthy und unser Redaktionsleiter Michael Lünstroth. Beide sind in Teilzeit (jeweils 50 %) angestellt.
Zum Team gehören aber genauso unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten, die im Kanton unterwegs sind und aus dem Thurgauer Kulturleben berichten. Mit ihnen arbeiten wir auf Basis einer freien Mitarbeit zusammen.
thurgaukultur.ch wird von der gemeinnützigen Aktiengesellschaft thurgau kultur ag getragen. Ehrenamtliche Verwaltungsräte sind Humbert Entress und Martha Monstein. Aktionäre sind der Kanton Thurgau und die Kulturstiftung des Kanton Thurgau.
Die Redaktion ist journalistisch unabhängig. Mehr zu thurgaukultur.ch hier.
Weitere Beiträge von Michael Lünstroth
- Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? (29.10.2018)
- Bilbao am Bodensee (17.09.2018)
- Im Netzwerk verheddert (28.07.2022)
- Der Elefant im Raum (15.11.2018)
- Progressiv in der Provinz (14.11.2018)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kulturpolitik
Kommt vor in diesen Interessen
- Analyse
- Kulturförderung
Ist Teil dieser Dossiers
Ähnliche Beiträge
500 000 Franken für Schlosspark Arenenberg
Der Regierungsrat des Kantons Thurgau gewährt der Stiftung Napoleon III einen Lotteriefondsbeitrag von 500 000 Franken für die Wiederherstellung des östlichen Teils des Schlossparks Arenenberg. mehr
Besser spät als nie
Warum wir eine Erweiterung des Kunstmuseums brauchen und nicht nur sie: Ein Gastbeitrag von Kurt Schmid. mehr
Der Elefant im Raum
Welche Ausstellungskultur braucht eine Stadt? Eine Gesprächsrunde in Konstanz stellte spannende Fragen. Die Antworten blieben vage. Auch weil ein wichtiges Thema ausgeblendet werden sollte. mehr