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von Brigitte Elsner-Heller, 12.05.2018

Bildstein | Glatz: Mit der Lizenz zum Abheben

Bildstein | Glatz: Mit der Lizenz zum Abheben
Vollgas: Jacqueline 3, Inszenierung um das Raketenauto des Stuntman Brutus. | © Brigitte Elsner-Heller

Was kommt nach dem LOOP? Darauf gibt es ab Sonntag, 13. Mai 2018, eine Antwort. Dann wird anlässlich des Internationalen Museumstags im Kunstmuseum Thurgau in der Kartause Ittingen die Ausstellung „Bildstein | Glatz – Nr. 1“ der LOOP-Schaffer eröffnet. 

Von Brigitte Elsner-Heller

Mutterschafe haben mit Lämmern, die das Osterfest glücklich überstanden haben, an diesem sonnigen Frühsommertag Schatten gefunden. Ruhig liegen sie auf der Klosterwiese unter der Installation LOOP des Künstlerduos Matthias Bildstein (Wien) und Philippe Glatz (Kreuzlingen). Seit Frühjahr 2017 steht die 15 Meter hohe Doppelschleife aus Holz und Aluminium vor der Kartause Ittingen – und wenn man den Aussagen des Künstlerduos Glauben schenken möchte, war nicht wirklich sicher, ob diese Kunst, die sich in der idyllischen Umgebung keineswegs als Land-Art versteht, über einen längeren Zeitraum hinweg physisch Bestand haben würde.

Schliesslich sind Bildstein | Glatz durchaus gern experimentell unterwegs, was dann auch bedeutet, ergebnisoffen zu arbeiten, selbst wenn Konzepte vorher gemeinsam durchdacht wurden. Kunst braucht Vorüberlegungen, um als Kunst durchzugehen – auch wenn eine Mischung aus Ernst und Ironie in diesem Fall nicht zu übersehen ist. Ironie sich selbst, der Welt, auch oder sogar dem Kunstbetrieb gegenüber. Mit unverholenem Vergnügen zeigen Bildstein | Glatz im Kunstmuseum daher nun unter anderem auch Videos von Aktionen, die – gewollt oder ungewollt – gescheitert sind („Trilogie des Scheiterns“). Von „kindlicher Experimentierlust, künstlerischem Wahnsinn und Selbstironie“ ist in diesem Zusammenhang die Rede. Auch von einer „Persiflage auf den Kunstbetrieb“.
 
LOOP, 2017, verschiedene Materialien, Kartause IttingenLOOP, 2017, verschiedene Materialien, Kartause Ittingen. Bild: Brigitte Elsner-Heller
 
Riesenschritte mitten in die Ausstellung, die am 13. Mai anlässlich des Internationalen Museumstages offiziell eröffnet wird und von Stefanie Hoch kuratiert wurde. Riesenschritte, was auch sonst, schliesslich firmiert die Schau (selbstironisch) als „Nr. 1“. Sie stellt zum ersten Mal das Künstlerduo in einer Einzelausstellung vor und liefert damit rückwirkend einiges an Hintergrund für die Installation LOOP. Matthias Bildstein kommt von der Bildhauerei, Philippe Glatz von der Malerei, und beide zusammen pflegen künstlerisch nicht nur die jeweiligen Übergänge, sondern hinterfragen auch die medialen Kontexte. Besonders die Malerei steht auf dem Prüfstein, das, was heute in der Malerei noch möglich oder sinnvoll ist. Wer dabei im künstlerischen Prozess wo „Hand anlegt“, ist eine Frage, die nicht erörtert werden soll: „Die Autorenschaft ist kollektiv:“

Höher, schneller, weiter!

Das kollektive Arbeiten wirkt wie eine Spiegelung von Phänomenen wie der massenmedialen Vermarktung von Kunst und einer Event-Kultur, die unter anderem im Sport zu verzeichnen ist. Das hehre „Dabei sein ist alles“ ist längst einem bedingungslosen „Höher, schneller, weiter!“ gewichen. Welche Geschichte dabei entsteht, welche wahr oder lediglich realistisch ist, welche die Fantasie gar in den Orbit katapultiert, ganz gleich: Bildstein | Glatz nutzen alle Möglichkeiten, bewahren sich damit auch den spielerischen Umgang mit diesen Optionen. 

So haben sie beispielsweise vor drei, vier Jahren die Figur des „Stuntman Brutus“ entwickelt, für den auch Museumsdirektor Markus Landert einen abenteuerlichen Text verfasst hat, der unter anderem von der Freude an Fantasie zeugt. Stuntman Brutus startet seine Maschine, um zum ersten Mal den LOOP zu meistern… Was Landert nicht daran gehindert hat, in seinem Katalogbeitrag „Auf der Suche nach dem Sinn“ die auftretenden Fragen doch recht ernsthaft anzugehen: Sport und Eventkultur dienen heute der Sinnstiftung, worauf sich das Künstlerduo immer wieder explizit bezieht.

Matthias Bildstein (Wien) vor einem der grossformatigen Gemälde (hier: „Party Hard“, 2016), mit denen das Künstlerduo Fährten in die Kunstgeschichte legt.Matthias Bildstein (Wien) vor einem der grossformatigen Gemälde (hier: „Party Hard“, 2016), mit denen das Künstlerduo Fährten in die Kunstgeschichte legt. Bild: Brigitte Elsner-Heller-Heller

Spieltrieb: Technik

Real ist im Kunstmuseum eine Ausstellung, die sich durch das Erdgeschoss hinzieht und im Keller ihren eigenwillig interaktiven Höhepunkt findet. „Nr. 1“ startet mit der Welt des Stuntman Brutus, mit einem Monocoque, der wie eine Seifenkiste in bunten Farben und aus unterschiedlichen Materialien gefertigt daher kommt. Behauptet wird, es handle sich um eine Studie für die „G-Kräfte-Testanlage“, die im Erdgeschoss aufgebaut ist und an die Crash-Tests der Industrie genauso erinnert wie an raketenbetriebene Autos. Die schwarze Montur des fiktiven Stuntmans hängt dabei an der Wand, während in Vitrinen „Devotionalien“ seiner Erfolge präsentiert werden.

Den Übergang zwischen den Ausstellungsräumen schaffen Bilder, seien es grossformatige Gemälde oder Serien auf Papier. In den locker angedockten kleineren Arbeiten finden sich Serien über Helme genauso wie das Thema Kletterschuhe, während in den grösseren, wuchtigeren Formaten die Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Malerei zu finden ist. Bis hin zur Street Art: Silberweisse Farbspuren (ein Feuerlöscher wurde geleert und mit Lackfarbe gefüllt) auf schwarzer Wand als galaktischer Hintergrund für einen silber glänzenden Boliden. Und wieder taucht in diesem Kontext die Frage nach der Zukunft der Malerei auf: „Die jungen Wilden, das war die Generation unserer Professoren ...“, streut Bildstein (kollektiv) ein.

Philippe Glatz hängt spontan eines der ausgestellten Bilder um: „Das hängt verkehrt herum“.Philippe Glatz hängt spontan eines der ausgestellten Bilder um: „Das hängt verkehrt herum“. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Und am Ende ...

Die „harmlose“ und für ein breiteres Publikum greifbare Variante des Merchandising-Aspekts von Kunst, Sport und bei genauerer Überlegung von eigentlich allem, thematisieren Bildstein | Glatz in ihrem ureigenen „Shop“, vor dem der neue Ausstellungskatalog gestapelt ist (Achtung, Kunst?), und dessen Wände durch Gemälde gebildet werden, die funktional auf ihre Materialität reduziert werden. Den ultimativen Kick können sich Besucher nur zu bestimmten Zeiten geben, dann nämlich wird die „richtige“ G-Kräfte-Testanlage im Keller in Betrieb genommen: ein Beschleunigungsschlitten. „Anders als LOOP ist dieses Werk tatsächlich verwendbar“, heisst es. Wohl dem, der einen guten Physiotherapeuten an der Hand hat.
 
Termine: Die Ausstellung "Bildstein | Glatz – Nr. 1" ist vom 13. Mai bis 12. August 2018 im Kunstmuseum Thurgau, Kartause Ittingen, zu sehen. Vernissage Sonntag, 13. Mai 2018, 11.30 Uhr, mit Start der „G-Kräfte-Testanlage“. Weitere Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung unter www.kunstmuseum.ch 

G-Kräfte-Testanlage mit der Tochter von Philippe Glatz und Matthias Bildstein. Das Mädchen wurde selbstverständlich nicht zur Testperson.G-Kräfte-Testanlage mit der Tochter von Philippe Glatz und Matthias Bildstein. Das Mädchen wurde selbstverständlich nicht zur Testperson. Bild: Brigitte Elsner-Heller

Versuch mit Ready-Made, das aus den USA importiert wurde. Die Tochter von Philippe Glatz beweist dabei die Alltagstauglichkeit von Kunst.Versuch mit Ready-Made, das aus den USA importiert wurde. Die Tochter von Philippe Glatz beweist dabei die Alltagstauglichkeit von Kunst. Bild: Brigitte Elsner-Heller 

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