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von Michael Lünstroth, 17.07.2018

«Klar ist das noch Kunst»

«Klar ist das noch Kunst»
«Eigentlich ist so etwas gar nicht möglich»: Kurator Jeremias Heppeler ganz rechts im Gespräch mit Sofie Benning und Julia Ihls, sowie Axel Nieburg (ganz links), bei einer Baustellenbesprechung im Vorfeld des Festivals. | © zVg

Jeremias Heppeler ist Künstler, Journalist und jetzt auch Festival-Kurator: In Radolfzell verwandelt er am 20. Juli gemeinsam mit Julia Ihls und Sofie Benning eine Baustelle für einen Tag in ein grosses Kulturzentrum. Und das mit reichlich Thurgauer Beteiligung

Jeremias, warum um Himmels willen macht ihr ein Kunstfestival mitten in einer laufenden Baustelle?

Die Frage ist absolut berechtigt. Denn eigentlich ist so etwas gar nicht möglich. Die Idee stammt in diesem Fall von der Baugenossenschaft Hegau, die im vergangenen Jahr das grosse Kunstfestival Arte Romeias in Singen veranstaltet hat. Das hat die Sinne der Genossenschaft für potentielle Anschlussprojekte geschärft. So tat sich plötzlich diese Chance für ein Baustellenfestival auf und die Möglichkeiten sind immens: Wir bespielen einen Ort, wie es ihn nur selten zu sehen gibt und wie ihn sonst nur wenige Menschen erfahren können. Die Tiefgarage ist aktuell noch offen, das ergibt eine Art Häuserschlucht-Amphitheater. Da ist die Location schon so eine Art Hauptdarsteller.

Ist das nicht unglaublich kompliziert?

Ja, auf jeden Fall. Die Baugenossenschaft steckt eine Menge Arbeit und auch Budget in die Baustelle, damit diese überhaupt begehbar und vor allem sicher ist. Denn natürlich gibt es komplexe Sicherheitsbestimmungen und Schwierigkeiten. Ohne diese Bereitschaft ginge das nicht. Die Bemühungen werden sich jedoch ganz sicher in Form der Einmaligkeit des Erlebnisses auszahlen .

Wo liegen die besonderen Herausforderungen bei einem solchen Projekt?

Wir arbeiten ja sozusagen in einer Art Reverse-Zwischennutzung...

«Wenige Stunden bevor unser Bauplan für das Programm in Druck ging, sind uns plötzlich drei Räume weggebrochen.»

Jeremias Heppeler, Festival-Kurator "Das Richtfest"  

Was heisst das? 

Typischerweise findet so etwas ja in Abrissgebäuden statt – unsere Räume sind jedoch noch im Begriff, zu entstehen. Deshalb lief unsere Planung stetig parallel zum Fortschritt auf der Baustelle, das bringt eine gewisse Unberechenbarkeit mit sich. Wenige Stunden bevor unser Bauplan für das Programm in Druck ging, sind uns plötzlich drei Räume weggebrochen, weil sie nicht rechtzeitig fertig werden. Das kann durchaus nerven, ist gleichzeitig aber auch total aufregend. Hinzu kommt, dass unsere Künstler erst einen Tag vor Beginn auf die Baustelle können, Bilder der zu bespielenden Räume gab es zumeist gar nicht - das ist auch ein ganz spezieller Druck, der hoffentlich zu verschärften Ergebnissen führen wird.

Mal ehrlich: Ist das noch Kunst oder schon Event? Bedient ihr mit dem Konzept nicht auch den Eventhunger in der Gesellschaft?

Klar ist das noch Kunst – wenn auch auf einer ziemlich grossen Bühne. Allerdings muss man sagen, dass die Gesamtumstände zwar Eventcharakter besitzen, unser Programm aber eine ganze Fülle von seltsamer, komplexer, weirder und abgefahrener Kunst aufbietet, die es jeweils im kleinen und kompakten zu erleben gibt – und eben in einem sehr ungewöhnlichen Raum, der auch diskursiv mitgedacht wird.  Wenn der Noisekünstler Grodock versucht den Beton zum klingen zu bringen oder der Berliner Künstler Stefan Klein in einem Gedankenexperiment Bruchstücke mit Hauptstadt Baustellen austauscht, dann ist das kein Mainstream-Ansatz – es ist doch wunderbar, wenn viele Leute solche Geschichten erleben können. Wir haben zusätzlich ein kuratiertes Programm, das zwar eine grosse Bandbreite hat, aber eben auch in sich geschlossen ist. Ich glaube der beste Vergleich sind hier Konzerte: Klar würde ich Nick Cave am liebsten in einem kleinen, verrauchten Dreckschuppen spielen sehen, aber es kann auch etwas haben, ihn auf der grossen Festivalbühne zu erleben.

Was kann man sonst beim „Richtfest“ erleben?

Im Zentrum steht sicherlich die Kunst, im Besonderen der Wettbewerb „Luftige Schlösser und konkrete Utopien“ mit 22 Teilnehmern unter 35. Dazu gibt es aber auch Musik, Theater, Lesungen, ein Kurzfilmprogramm und Performances, die sich über die gesamte Baustelle ausbreiten. Jeder Besucher kann sich sein eigenes Programm zusammenstellen. Und: Morgens gibt es ein richtiges und waschechtes Richtfest!

Ist auch beim Richtfest dabei: Bayuk

Wie kommt es, dass die Schweiz und insbesondere der Thurgau so gut vertreten ist?

Das liegt wohl tatsächlich an meiner Tätigkeit für thurgaukultur.ch. Dadurch habe ich im letzten Jahr die Vielfalt der Thurgauer Kulturszene kennengelernt. Und tatsächlich ist es ja so, dass wir hier am See näher am Thurgau dran sind, als an 98 Prozent von Deutschland. So haben sich einige spannende Synergien ergeben. So wusste ich, was Tobias Rüetschi und David Yves da für abgefahrene Dinge in der Frauenfelder Musikszene anstellen. Und Almira Medaric hat kurz vor mir den Kunstraum bespielt. So kam eins zum anderen! Ich finds total fantastisch, dass wir so viele Schweizer im Programm haben – von dem Austausch können doch nur alle Seiten profitieren.

Bekommen die Künstler Honorare für ihre Arbeiten?

Das ist unterschiedlich. Unsere Künstler im Wettbewerb bekommen kein Honorar – hier stehen die beiden potentiellen Auszeichnungen im Zentrum. Im Rahmenprogramm zahlen wir teilweise Aufwandsentschädigungen und teilweise Materialkosten.

Warum nicht mehr?

Eins vorab: Natürlich würden wir am liebsten jeden Künstler fair bezahlen. Gar keine Frage. Das ist aber tatsächlich nicht möglich – das Richtfest ist trotz Beteiligung der Baugenossenschaft ein absolutes Non-Profit-Festival. Die Ausgaben für das Drumherum sind vor allem aufgrund der Location und ihren hohen Sicherheitsanforderungen sehr hoch. Wir haben das aber auch immer offen und auf Augenhöhe kommuniziert – das war uns total wichtig, von Beginn an. Tatsächlich werden bei vergleichbaren Wettbewerben und auch Festivals in den aller seltensten Fällen Honorare für die Teilnahme gezahlt. Dass das eine beschissener Status Quo ist, steht aber ausser Frage.

«Natürlich würden wir am liebsten jeden Künstler fair bezahlen. Das ist aber nicht möglich.»

Jeremias Heppeler, Kurator "Das Richtfest"  

Im Hinblick auf die Wertedebatte in Gesellschaft und Kultur: Ist das nicht ein falsches Signal, dass Künstler ihre Arbeit und Arbeitskraft wieder verschenken müssen, um dabei sein zu können?

Das ist eine ganz wichtige und entscheidende Frage – und speziell für mich, der ich mein Geld ja grösstenteils mit Kunst verdiene, ein total zweischneidiges Schwert. Ich glaube allerdings nicht, dass es ein falsches Signal ist. Speziell für junge Künstler – das weiss ich aus eigener Erfahrung – ist es extrem schwierig an spannende Projekte zu kommen. Da gibt es eine Art Zuspitzung der ganzen ‚Generation Praktikum’ Debatte. Bevor dich eine Galerie ausstellt, solltest du wenn möglich schon fünf Ausstellungen in Petto haben. Für Open Calls auf Ausstellungen, die teilweise gar nicht, teilweise mit ein paar hundert Euro bezahlt werden, gibt es oftmals hunderte Bewerbungen. Es ist eine Art Haifischebecken. Galeristen nehmen sich in den seltensten Fällen jungen Künstlern an und wenn dann sollten sie sich schon verkaufen können. Welcher Galerist stellt einen Anfänger aus? Es gibt kaum Anlaufstellen oder Beratung. Wo also anfangen? Wie anfangen? Es bleibt kaum etwas anderes übrig als hustlen - es gibt glaube ich kein deutsches Äquivalent für Wort - und sich fest beissen. Als nicht nachgeben. Das sind leider die Regeln des Spiels, man kann sich entweder beschweren und lethargisch oder frustriert werden oder dagegen an schwimmen. Und manchmal mitschwimmen.

Mitschwimmen? Ist das nicht ein bisschen oppurtunistisch und inkonsequent? 

Nein, das sehe ich nicht so. Ich verstehe mich mittlerweile als eine andere Mini-Firma. Ich mache Jobs, die Geld bringen - zum Beispiel arbeite ich als Kunstlehrer - und habe dafür die Freiheit, mich in komplexen Projekten zu verwirklichen, die eventuell keine Gage mit sich bringen. Und wir wollten mit dem Richtfest eben ein Umfeld schaffen, das so spannend ist, dass die Künstler es wirklich als Chance sehen. Jeder Künstler bekommt einen spannenden Raum, die meisten davon haben 70 qm Fläche, um dort zu schalten und zu walten. Wir haben versucht, eine Vielzahl an spannenden und coolen Leuten zusammen zu bringen. Wir wollen vernetzen. Und ein Publikum bieten. Die Leute sollen sich wohl fühlen, das gehört zum Konzept und trotzdem gibt es den Anspruch ein hochwertiges, professionelles und spannendes Gesamtbild zusammen zu schustern. Auch für uns als junge Kuratoren oder für Stephan Lawson, unseren Grafiker am Beginn einer selbstständigen Tätigkeit oder Lukas Burg, der die filmische Arbeit übernimmt, ist das Richtfest eine grosse Chance. 

Zum Schluss: Was kann am Ende bleiben von einem 1-Tages-Festival? Oder geht es gar nicht mehr darum, etwas Bleibendes zu schaffen?

Der Faktor Zeit ist entscheidend: Die Projekte verschwinden so schnell, wie sie aufgetaucht sind. Aber genau darin liegt der Reiz. Wer nicht dabei ist, der verpasst es. Es soll nichts bleibendes Entstehen, der Faktor Zeit wertet indes den Moment auf. Und den Prozess. Ich habe beispielsweise oft ein grosses Problem mit Kunst im öffentlichen Raum. Weil sie vermodert und vor sich hin vegetiert. Mit ihr passiert nichts mehr. Aber wir können mit dem Finger am Puls der Zeit agieren. Den können wir direkt anpacken und vernoten und dann wieder loslassen. Das ist doch total aufregend.

Trailer zum Festival «Das Richtfest»

 

Das Richtfest: Zeit und Ort

Der Kurator: Jeremias Heppeler (29) arbeitet seit 2014 als freier Künstler, Filmemacher und Texter. Er hat in den vergangenen Jahren verschiedene Auszeichnungen erhalten. Unter anderem den Motion Picture 2.0 Award des ZKM Karlsruhe, den Samsung Smartfilm Award im Genre “Experimental” sowie den Förderpreis der Stadt Konstanz. Heppeler versteht sich als «intermedialer, bildender Künstler, der Medien (Film, Bild, Text) analog und digital kombiniert und dabei versucht neue, hybride Räume zu erschliessen», wie es auf seiner Webseite heisst. Der 29-Jährige ist seit 2017 auch Autor von thurgaukultur.ch   «Das Richtfest» kuratiert Jeremias Heppeler gemeinsam mit Sofie Benning und Julia Ihls.

 

Das Programm: Im Mittelpunkt steht der Wettbewerb für junge Künstler unter 35 namens «Luftige Schlösser und konkrete Utopien» - an diesem Thema arbeiten sich 22 Künstler aus Deutschland und der Schweiz ab. In Performance, Projektion, Installation, Malerei. Dazwischen gibt es Rahmenprogramm, das grösstenteils homogen zu der Baustelle und zur Ästhetik der Ausstellung passt: Konzerte, Theater, Lesungen, Kurzfilmprogramm. Details gibt es im Veranstaltungsplan Richtfest.pdf

 

Der Termin: Freitag, 20. Juli, ab 11 Uhr.

 

Der Ort: Gustav-Troll-Strasse 14 in Radolfzell. Im Januar 2017 begannen hier die Arbeiten für das Bauprojekt„Weinburg“ der Baugenossenschaft HEGAU eG. Insgesamt werden auf diesem Gelände 50 Wohnungen entstehen, die allesamt zur Miete ausgeschrieben werden. Für einen Tag wird die Baustelle zur Kunststelle. Aktuelle Informationen zum Projekt gibt es auch hier: https://de-de.facebook.com/dasrichtfest/

 

Team Thurgau: Mit dabei aus dem Thurgau sind Tobias Rüetschi und David Nägeli mit der Performance «This Way, We Must Come Together». Dazu Almira Medaric mit ihrer Installation «Inventory». Leonie Wohlgemuth projiiziert durch Aquarien. Weitere Schweizer beim Richtfest sind: Bildspur Kollektiv (Dietikon), Fabian Frei (Basel)

Baustellenbegehung: Die beiden Kuratorinnen Julia Ihls (rechts) und Sofie Benning (zweite von rechts) auf der Baustelle
Baustellenbegehung: Die beiden Kuratorinnen Julia Ihls (rechts) und Sofie Benning (zweite von rechts). Bild: zVg

 

Ist das Kunst oder kann das weg? Mit dem Richtfest wollen die Initiatoren Grenzen verschieben und Bewusstsein erweitern.
Ist das Kunst oder kann das weg? Mit dem Richtfest wollen die Initiatoren Grenzen verschieben und Bewusstsein erweitern. Bild: zVg

 


 

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